Die zwei Tode des Paul Schäfer. Legende und Lebensgeschichte eines Erfurter Kommunisten
Eine Sonderausstellung des Erinnerungsortes Topf & Söhne in Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv Erfurt und dem Stadtmuseum Erfurt
Der Erfurter Paul Schäfer (1894 – 1938) galt in der DDR als antifaschistische Legende. Der große VEB Schuhfabrik "Paul Schäfer" trug seinen Ehrennamen. Bis heute ist eine Straße im Industriegebiet im Erfurter Norden nach ihm benannt. Erst nach dem Ende der Sowjetunion und der Öffnung der Moskauer Geheimarchive wurde sein tragisches Lebensende öffentlich: Paul Schäfer wurde 1938 Opfer des stalinistischen Terrors im Moskauer Exil.
Die Ausstellung Die zwei Tode des Paul Schäfer dekonstruiert mit historischen Beweisen aus Moskauer Archiven die Legende, mit der Generationen von Erfurterinnen und Erfurtern in der DDR aufwuchsen: Paul Schäfer sei als Spanienkämpfer gefallen.
Sie zeigt den Menschen hinter der Legende und bietet damit anschauliche Einblicke in den Alltag und die soziale und politische Arbeiterkultur in Erfurt in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Als Kind einer alleinerziehenden Schuharbeiterin besuchte Paul Schäfer die Volksschule und wuchs im sozialdemokratischen Milieu des Erfurter Nordens auf. Zurück aus dem Ersten Weltkrieg, in den er als junger Vater mit 20 Jahren ziehen musste, schloss er sich der neu gegründeten KPD an. Nun folgte der Aufstieg vom angelernten Schuharbeiter zum Arbeitervertreter und Stadtpolitiker. Paul Schäfer wurde Betriebsrat bei Lingel, dem größten deutschen Schuhkonzern in der Weimarer Republik.
Ab 1924 war er Mitglied der Erfurter Stadtverordnetenversammlung und 1925 nahm er an der ersten deutschen Arbeiterdelegationsreise in die Sowjetunion teil. 1926 wurde er – nach seiner Entlassung bei Lingel – Sekretär der Internationalen Arbeiterhilfe für Thüringen, ab 1931 für Frankfurt-Hessen.
Immer wieder kreuzten sich die Wege von Paul Schäfer und Willi Münzenberg, Generalsekretär der Internationalen Arbeiterhilfe, KPD-Reichstagsabgeordneter und Erbauer eines Medienimperiums. Der fünf Jahre ältere und ungleich bekanntere Kommunist Willi Münzenberg hatte ebenfalls bei Lingel gearbeitet, bevor er in der Schweiz Lenin kennenlernte und später für die Kommunistische Internationale tätig wurde.
Auf der Flucht vor der Gestapo nach der nationalsozialistischen Machtübernahme gelang Paul Schäfer 1935 die Emigration in die Sowjetunion, seinem Sehnsuchtsland seit der ersten Reise dorthin. Doch dort wurde er 1938 unter der falschen Anklage, er wäre ein faschistischer Spion, mit 42 Jahren vom sowjetischen Geheimdienst hingerichtet.
Die Ausstellung diskutiert, welche Bedeutung die Legende von Paul Schäfer als Opfer des Faschismus in der DDR hatte, wie sie entstand, wer Interesse an ihrer Aufrechterhaltung hatte und wer vom wahren Tod Paul Schäfers in Moskau wusste.
Dank umfangreicher Forschungen in regionalen, nationalen und internationalen Archiven kann die Ausstellung die Lebensgeschichte von Paul Schäfer erstmalig quellenbasiert und unverfälscht zeigen. Zeitgenössische Fotografien und Dokumente ermöglichen die Begegnung mit einem Mann, der exemplarisch für die revolutionären Hoffnungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts steht, der vom Nationalsozialismus verfolgt und im Stalinismus ermordet wurde.
Die Ausstellung stellt sich der Auseinandersetzung mit den großen Fragen des vergangenen Jahrhunderts nach Utopie und Revolution, Diktatur, Terror und dem Verrat von Idealen. Sie fragt am Beispiel von Paul Schäfer danach, wieweit die Lügen und Legenden bis heute nachwirken und wie eine demokratische Kultur der Erinnerung an das komplexe 20. Jahrhundert aussehen kann.
Entstanden ist die Ausstellung in Zusammenarbeit mit den Nachkommen von Paul Schäfer. Sein Urenkel Thomas Schäfer, angehender Geschichtslehrer, arbeitete im wissenschaftlichen Ausstellungsteam mit und stellte Fotografien und Dokumente aus dem Familienbesitz zur Verfügung.
Die Ausstellung wurde gefördert von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, von der Thüringer Staatskanzlei und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen. Sie wurde vom Erinnerungsort durch ein vielfältiges Begleitprogramm mit Vorträgen, Fortbildungen, Führungen und Projekten ergänzt, darunter erstmals eine öffentliche Stadtteilführung Der Kommunist Paul Schäfer und das Arbeiterquartier im Erfurter Norden.
Eine Sonderausstellung im Themenjahr 2018 Industrialisierung und soziale Bewegungen in Thüringen
Impressionen aus der Ausstellung "Die zwei Tode des Paul Schäfer" und von der Ausstellungseröffnung am 25. August 2018.
Veranstaltungsbericht zur Eröffnung der Sonderausstellung "Die zwei Tode des Paul Schäfer"
"Wir geben den Erfurtern ein Stück ihrer Stadtgeschichte zurück!" – mit diesen Worten eröffnete Dr. Annegret Schüle, Kuratorin des Erinnerungsortes, am Samstag, dem 25. August 2018, die Ausstellung "Die zwei Tode des Paul Schäfer. Legende und Lebensgeschichte eines Erfurter Kommunisten".
Annegret Schüle: Begrüßung zur Eröffnung der Sonderausstellung "Die zwei Tode des Paul Schäfer"
"Wir machen deutlich, dass Erinnerungspolitik sich nicht in uninteressanten Ritualen von gestern erschöpft, sondern eine Geschichte verbirgt, die einen Betrieb und eine Straße aus der eigenen Stadt plötzlich mit der großen Diktatur- und Verbrechensgeschichte des 20. Jahrhunderts in Verbindung bringt."
Thomas Schäfer: Begleitwort zur Eröffnung der Sonderausstellung "Die zwei Tode des Paul Schäfer"
"Gerade in den heutigen Zeiten verstehe ich diese Ausstellung als Mahnung gegen Diktatur und für eine Demokratie, in der Meinungsvielfalt und die Freiheit des Menschen ein hohes Gut sind."
Jörg Schmid: Grußwort zur Eröffnung der Sonderausstellung "Die zwei Tode des Paul Schäfer"
"Die Ausstellung zeigt am Beispiel von Paul Schäfer, wie Legendenbildung und Geschichtsverdrehung in der DDR erfolgte und nicht in das Geschichtsbild passende Teile seines Schicksals, wie seine Hinrichtung in der Sowjetunion, verschwiegen oder sogar gefälscht wurden."
Anselm Hartinger: Grußwort zur Eröffnung der Sonderausstellung "Die zwei Tode des Paul Schäfer"
"Es ist jedenfalls eine beträchtliche Leistung, dass ein Erinnerungsort zum Nationalsozialismus eine Ausstellung zeigt und selbst erarbeitet, die zugleich im Rahmen des Thüringer Themenjahres "Industrialisierung und soziale Bewegungen" stattfindet und den dort sonst eher raren Aspekt der sozialen Kämpfe und Bewegungen akzentuiert."
Thüringer Allgemeine: Paul Schäfers Tod in Spanien war infame Lüge der DDR-Führung
Programmheft "Sich der Geschichte stellen. Für die Zukunft erinnern"
Informationen und Begleitprogramm zur Ausstellung "Die zwei Tode des Paul Schäfer. Legende und Lebensgeschichte eines Erfurter Kommunisten" und zu zahlreichen weiteren Veranstaltungen und Bildungsangeboten im Erinnerungsort von Januar bis April 2019
Programmheft zur Ausstellung "Die zwei Tode des Paul Schäfer"
Informationen und Begleitprogramm zur Ausstellung "Die zwei Tode des Paul Schäfer. Legende und Lebensgeschichte eines Erfurter Kommunisten"
Die Veranstaltungen und Führungen beziehen sich auf die aktuelle Sonderausstellung und die Dauerausstellungen. Darüber hinaus thematisieren sie historische und aktuelle Fragen im Kontext von Antisemitismus, Rechtsextremismus und anderen Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit.
Ausstellungseröffnung: Die zwei Tode des Paul Schäfer. Legende und Lebensgeschichte eines Erfurter Kommunisten
Die Ausstellung entdeckt den Menschen Paul Schäfer hinter der Legende und verfolgt seine Spuren bis nach Moskau. In seinem dramatischen Leben stellen sich die großen Fragen nach Utopie und Revolution, Terror und Diktatur.
Antifaschismus und Legendenbildung in der DDR – das Beispiel des Erfurter Kommunisten Paul Schäfer
Fortbildung für Lehrkräfte und Multiplikatoren (Thillm-Nr. 198200901)
Antifaschismus in der DDR – Erinnerungskultur und Herrschaftssicherung
In ihrem Vortrag beleuchtet Annette Leo Herkunft und Entwicklung des Begriffs Antifaschismus von seinem Aufkommen 1922 im faschistischen Italien bis zu seiner Verwendung als propagandistischen Legitimationsversuch des SED-Regimes.
Antisemitismus im deutschen Rap
Seit dem Skandal um die Echo-Preisverleihung an die Rapper Kollegah und Farid Bang wird über die Frage gestritten, wie antisemitisch der deutsche Rap ist. Marcus Staiger beschäftigt sich mit diesem Thema.
Antisemitismus und antimuslimischer Rassismus als Varianten gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit
In ihrem Vortrag diskutiert Türkân Kanbıçak aktuelle Erscheinungsformen des Antisemitismus und der Muslimfeindlichkeit.
Exklusive Führung durch die Sonderausstellung "Die zwei Tode des Paul Schäfer"
Die Führung ist ein besonderes Angebot für die ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des VEB Schuhfabrik "Paul Schäfer"
Fotografie im Netz: Potentiale, Probleme, Perspektiven
Der Bildbestand des Industrieunternehmens J. A. Topf & Söhne geht online
Der Bann des Fremden. Die fotografische Konstruktion des "Zigeuners"
Frank Reuter stellt sein Buch vor und thematisiert die Entstehungsgeschichte des fotografischen "Zigeuner"-Bildes, wodurch Verbindungslinien zur Kunst und Literatur sichtbar werden.
Die letzte Reise des Kapitäns der "Exodus"
Dokumentarfilm von Juliane und Eberhard Geick über die dramatische Fahrt der "Exodus" mit anschließendem Gespräch mit den Filmemachern.
Sprachsensibles Vorgehen in der Bildungsarbeit
Weiterbildung für Guides und Teamende am Erinnerungsort Topf & Söhne
Die Angstmacher. 1968 und die Neue Rechte
Thomas Wagner stellt sein Buch vor und beleuchtet, wie wichtig das Jahr 1968 als Geburtsstunde für die Neuen Rechten war.
Thüringer Sozialdemokraten und Kommunisten
Steffen Kachel hält einen Vortrag über die vielschichtige Beziehung der beiden Arbeiterparteien SPD und KPD in Thüringen während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Roman eines Schicksallosen
Im Rahmen der 26. Thüringer Tage der jüdisch-israelischen Kultur liest Markus Fennert aus dem epochalen Roman von Imre Kertész.
Die "Reichskristallnacht" im November 1938: Inszenierte Gewalt gegen Juden
Wolfgang Benz erläutert anhand des aktuellen Forschungsstandes das historische Geschehen um den 9. November 1938.
Rassismen und Antisemitismen als Herausforderung der Bildungsarbeit zum Nationalsozialismus
Prof. Monique Eckmann spricht über Herausforderungen für die Bildungsarbeit zum Nationalsozialismus und Möglichkeiten der Verständigung in einer Einwanderungsgesellschaft.
5. Königsgambit-Gedenkturnier
Im Rahmen der Gedenktage an die Novemberpogrome 1938 treffen sich Schachspielerinnen und Schachspieler um mit Spielfreude an den großen jüdischen Beitrag zur internationalen Schachkultur zu erinnern.
Die Revolution von 1918/1919. Der wahre Beginn unserer Demokratie
Wolfgang Niess stellt sein Buch vor und schildert Ablauf und Bedeutung der Revolution, aus der die erste deutsche Republik hervorging.
Nieder mit Hitler! Oder warum Karl kein Radfahrer sein wollte
Jochen Voit (Text) und Hamed Eshrat (Zeichnungen) stellen in der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße ihre neue Graphic Novel vor.
"Republik, das ist nicht viel…"? Rosa Luxemburg, die Novemberrevolution und die Weimarer Linke
Prof. Dr. Uli Schöler spricht in seinem Vortrag über die Gründung der Weimarer Republik, die sich der Novemberrevolution verdankt. Er rekonstruiert die Rolle Rosa Luxemburgs in den Auseinandersetzungen, die am Anfang der ersten deutschen Demokratie standen.
Widerstand und Verrat: Gestapospitzel im antifaschistischen Untergrund
Dr. Hans Schafranek stellt sein Buch über die Unterwanderung von Widerstandsgruppen durch die Geheime Staatspolizei vor. Er wirft dabei einen Blick auf dieses tödliche Netzwerk und zeigt, wie in der Zeit des Nationalsozialismus Widerstand und Verrat unauflöslich miteinander verknüpft waren.
„Bürger Erfurts! Gewaltige Stunden des Erlebens liegen hinter uns…“
Thea Jacob (M. A.) spricht über die Revolution 1918/1919 in Erfurt im Spiegel der Stadtgeschichtsschreibung.
Die Revolution 1918/19 in Erfurt - Ein Stadtspaziergang
Thea Jacob (M. A.) führt durch Erfurt und spricht dabei über die Revolution 1918/1919.
Willi Münzenberg, Erfurts vergessener Sohn: Propagandist der Komintern, Medienvisionär und europäischer Sozialist gegen Hitler und Stalin
Dr. Bernhard Bayerlein spricht über die Lebensgeschichte Willi Münzenbergs, seine Karriere als kommunistischer Organisator, Propagandist und Medienaktivist und den späteren Umgang mit seiner Biografie in Ost- und Westdeutschland.
Öffentliche Stadtteilführung „Der Kommunist Paul Schäfer und das Arbeiterquartier im Erfurter Norden“
Die Führung zeigt die historischen Orte an denen Paul Schäfer wirkte und bettet seine wechselvolle Biografie in die Sozial- und Bewegungsgeschichte des städtischen Arbeiterquartiers Ilversgehofen ein.
Öffentliche Führung durch die Sonderausstellung "Die zwei Tode des Paul Schäfer"
Die Führung beschäftigt sich mit dem wechselvollen Lebensweg von Paul Schäfer. Zu sehen sind zahlreiche historische Dokumente – darunter bisher nicht zugängliche Quellen aus Moskauer Archiven.
Rosa Luxemburg. Ein Leben
Ernst Piper legt eine große Biografie über die Vorkämpferin der europäischen Arbeiterbewegung vor.
Paul Schäfer. Erfurter Kommunist, ermordet im Stalinismus
Das Team der im Erinnerungsort gezeigten Ausstellung „Die zwei Tode des Paul Schäfer“ hat nun seine umfangreichen Forschungen in dem von der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen herausgegebenen Buch „Paul Schäfer. Erfurter Kommunist, ermordet im Stalinismus“ publiziert und darin die neuen Erkenntnisse mit Quellen belegt.
Abgesagt: Die Morde von Mechterstädt 1920. Zur Geschichte rechtsradikaler Gewalt in Deutschland
In ihrem Buch analysieren Dietrich Heither und Adelheid Schulze die Ursachen und die folgenschweren Wirkungen der rechtsradikalen Gewalt, ausgehend von den akademischen Rechten in der Weimarer Republik.
Stadtteilführung „Der Kommunist Paul Schäfer und das Arbeiterquartier im Erfurter Norden“
Die Führung zeigt die historischen Orte an denen Paul Schäfer wirkte und bettet seine wechselvolle Biografie in die Sozial- und Bewegungsgeschichte des städtischen Arbeiterquartiers Ilversgehofen ein.