Interview mit Esther Bejarano – Teil 1
Familie und Kindheit
Wenn man aber weiß, was damals geschah und warum das geschah, dann habe ich die Hoffnung, dass so etwas nie wieder passieren kann.
Esther Bejarano wurde am 15. Dezember 1924 in Saarlouis geboren. Ihre Eltern Margarethe und Rudolf Loewy hatten sich durch die Musik kennengelernt, er war ihr Klavierlehrer. Esther war die Jüngste von vier Geschwistern. Nach dem Anschluss des Saarlandes an das Deutsche Reich 1935 verlor der Vater seine Existenz, weil sich die immer kleiner werdende jüdische Gemeinde in Saarbrücken keinen Kantor mehr leisten konnte. Während des Novemberpogroms 1938 wurde der Vater inhaftiert, die Schwester Ruth von der SA schwer misshandelt. Die Geschwister Gerhard und Tosca hatten Deutschland ein Jahr zuvor verlassen können, er emigrierte in die USA, sie nach Palästina. 1940 trennte sich auch Esther von ihren Eltern, um sich auf einem landwirtschaftlichen Gut in Brandenburg auf die Auswanderung nach Palästina vorzubereiten.
Ab 1941 musste Esther Loewy Zwangsarbeit leisten, im April 1943 wurde sie nach Auschwitz deportiert. Dort erkrankte sie an Typhus. Sie überlebte das Vernichtungslager nur, weil die SS Häftlinge für ein sogenanntes Mädchenorchester suchte. Die Frauen mussten vor den Mithäftlingen spielen, wenn diese das Lager zur Zwangsarbeit verließen und wenn sie abends zurückkehrten. Esther, seit ihrer Kindheit Klavierspielerin, meldete sich für alle Instrumente, nach denen gefragt wurde, ohne sie gelernt zu haben: Akkordeon, Flöte, Gitarre.
Weil ihre Großmutter väterlicherseits nicht jüdisch war, konnte sie sich im Oktober 1943 für eine Überstellung ins KZ Ravensbrück melden und damit dem Vernichtungslager Auschwitz entkommen. Dort musste sie Zwangsarbeit für Siemens leisten. Im April 1945 floh Esther während des Todesmarsches und erreichte US-amerikanische Truppen. Sie erfuhr erst jetzt, dass ihre Eltern und ihre Schwester Ruth nicht mehr lebten. Die Eltern waren 1941 von Breslau aus deportiert und im litauischen Kowno erschossen worden. Ihre Schwester Ruth wurde mit ihrem Mann 1942 von deutschen Grenzern erschossen, nachdem sie von der Schweizer Polizei zurück nach Deutschland geschickt worden waren.
Im August 1945 wanderte Esther Loewy nach Palästina aus und arbeitete als Sängerin und Musiklehrerin. Sie heiratete Nissim Bejarano und bekam mit ihm zwei Kinder. 1960 kehrte sie mit ihrer Familie nach Deutschland zurück – ihre durch die Lagerhaft geschwächte Gesundheit ertrug das Klima in Israel nicht. In Hamburg hatte sie zunächst eine Wäscherei und betrieb dann gemeinsam mit ihrem Mann eine Diskothek, später eröffnete sie eine Boutique. 1978 musste sie beobachten, dass die NPD einen Stand vor ihrem Schaufenster aufstellte. Als es zur Auseinandersetzung zwischen einer Gruppe von Gegendemonstranten und der Polizei kam, mischte sich Esther Bejarano ein. Zu sehen, dass Neonazis von Polizisten geschützt werden, war für sie als Auschwitz-Überlebende unerträglich. Sie wurde Mitglied der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, gründete mit anderen Überlebenden das Auschwitz-Komitee in der Bundesrepublik Deutschland e. V. und wurde Mitglied des Internationalen Auschwitz Komitees. Nun trat sie wieder als Sängerin vor allem jüdischer Lieder auf und berichtete in Zeitzeugengesprächen über ihr Leben. Auch im hohen Alter stand Esther Bejarano noch lange auf der Bühne und erhob ihre Stimme gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus, für Völkerverständigung und Frieden.
Esther Bejarano starb am 10. Juli 2021 im Alter von 96 Jahren nach kurzer, schwerer Krankheit in Hamburg.