Denkort Bücherverbrennung 1933
Am 29. Juni 1933 fand in Erfurt eine Bücherverbrennung statt. Die nationalsozialistischen Bücherverbrennungen von März bis November 1933, über 160 im Deutschen Reich, waren ein Fanal und offenbarten mit ihrem Beginn kurz nach der Machtübergabe an Adolf Hitler am 30. Januar 1933 in aller Deutlichkeit den nationalsozialistischen Zerstörungswillen. Sie hatten national und international eine starke symbolische Wirkung und erinnerten in ihrer Inszenierung als Massenveranstaltungen und mediale Ereignisse an den Charakter öffentlicher Hinrichtungen. Als Teil eines umfassenden Systems von Repression und Terror und als Gesellschaftsverbrechen waren die Bücherverbrennungen ein zentraler Schritt in der Ausweitung und Normalisierung gemeinschaftlich begangener Gewalt und damit ein wichtiger Akt der gesellschaftlichen Mobilisierung für die Errichtung der nationalsozialistischen Herrschaft.
Die Bücherverbrennungen vernichteten Wissen, Kultur und Freiheit im Denken und rissen eine Lücke in das literarische und politische Bewusstsein, die bis heute nachwirkt. Viele der verfemten Schriftsteller und Schriftstellerinnen gingen ins Exil, verelendeten, verstummten, begingen Selbstmord oder wurden von den Nationalsozialisten ermordet. Damit verschwanden sie auch aus dem kollektiven Gedächtnis der Nachkriegszeit. Einige unter ihnen wurden erst in den folgenden Jahrzehnten wiederentdeckt, fanden Eingang in die Bibliotheken und den Kanon der Schullektüre. Nicht wenige sind bis heute vergessen.
In Erfurt fand die Bücherverbrennung auf Initiative der Hitlerjugend, der Jugendorganisation der NSDAP, auf dem „Platz für Volks- und Jugendspiele“ an der Cyriaksburg zum Abschluss eines großen „Festes der deutschen Jugend“ in der Mitteldeutschen Kampfbahn (heute Steigerwaldstation) statt. Dieser Sportplatz befindet sich heute vollständig innerhalb des egaparks. Seine damalige Fläche beginnt im Nordwesten am Mainzgarten und reicht über die Wasserachse bis zur Sonnenuhr im Südosten.
Auf diesem Sportplatz inszenierte die Hitlerjugend eine „Kundgebung wider den undeutschen und Händlergeist“, beides eindeutig antisemitische Chiffren. Zuvor forderte sie „alle deutschen Volksgenossen, die noch im Besitz von undeutscher Literatur sind, auf, sie vor Beginn der Sonnenwendfeier der Hitlerjugend zur Verbrennung auszuliefern. Die Annahmestelle ist auf dem Platz besonders gekennzeichnet." (Thüringer Allgemeine Zeitung, 24. Juni 1933)
Die Bücherverbrennung in Erfurt wurde erst 2013, achtzig Jahre später, durch Recherchen von Stattreisen e.V. wieder erinnert. Der Fotograf Jan Schenck, der in ganz Deutschland die Orte von Bücherverbrennungen aufsucht, fotografiert und zu einem Onlineatlas zusammenfügt (www.verbrannte-orte.de), rückte sie 2020 erneut in die lokale Öffentlichkeit. Seitdem engagieren sich die Omas gegen Rechts Erfurt für eine dauerhafte und lebendige Erinnerung am historischen Ort, gewannen die Unterstützung des Stadtrats und beleben die Erinnerung mit vielen Partnern in der Veranstaltungsreihe „Bücher aus dem Feuer“. Fachkuratorisch betreut durch den Erinnerungsort Topf & Söhne führte die Zusammenarbeit der Omas gegen Rechts mit ihrer Spendenkampagne „Buchstabenpaten gesucht“, der Stadt Erfurt und des egaparks mit einer Förderung der Thüringer Staatskanzlei zum Erfolg.
Das stationäre Denkmal umfasst einen rund 70 m² großen Raum, gestaltet als Installation aus im Boden eingelassenen Drucklettern – symbolisch für das gedruckte Wort – und „Lautsprecher“- Kegeln für das gesprochene Wort. Name und Gestaltung des Denkmals vermitteln eine Botschaft: Die Einladung zum eigenständigen Denken und freien Sprechen. Via QR-Code gelangen Besuchende zu Lesungen aus Büchern von im Nationalsozialismus zum Schweigen gebrachten Literaturschaffenden, eingesprochen von Mitgliedern des Jugendtheaters Die Schotte. Teil des Denkortes Bücherverbrennung 1933 ist neben dem stationären Denkmal ein gleichnamiger Online-Auftritt auf der Webseite des egaparks. Unterseiten informieren über das zivilgesellschaftliche Engagement und die „Buchstabenpaten“, bieten die genannten kleinen Lesungen großer Literatur der Schotte sowie Wissen zu den nationalsozialistischen Bücherverbrennungen insgesamt und in Erfurt.
Mit der Unterseite zum Workshop Bücherverbrennung und Menschenfeindlichkeit ist ein ortsunabhängig nutzbarer Lernort entstanden, dessen Entstehen durch die Bundeszentrale für politische Bildung gefördert wurde. Abrufbar sind Bildungsmaterialien, mit denen selbstständig ein 90-minütiger Workshop für Jugendliche ab der 9. Klasse und Erwachsene durchgeführt werden kann. Der Workshop stellt Wissen zur Geschichte der Bücherverbrennungen bereit und ermöglicht eine kritische Auseinandersetzung mit der Frage, was geschieht, wenn in einer Gesellschaft Demokratie und Menschenrechte zerstört werden. Seine besondere Stärke ist, dass er sich aus den Inhalten, Lernzielen und Methoden zusammensetzt, die Jugendliche in einem partizipativen Lernprozess selbst wählten, um anderen Jugendlichen das Thema Bücherverbrennungen möglichst zielgruppengerecht und anregend näher zu bringen. Aus ihrer Auseinandersetzung entwickelten sie eigene Workshops, die sie nach dem Peer-to-Peer-Konzept mit anderen Jugendlichen umsetzten. Die methodischen und thematischen Zugänge, die die Jugendlichen auswählten, bilden die Grundlage für den Workshop Bücherverbrennung und Menschenfeindlichkeit. Der Workshop kann auch im Grünen Klassenzimmer des egaparks und im Erinnerungsort Topf & Söhne – Die Ofenbauer von Auschwitz (dann 2 Stunden) gebucht werden.
Online und vor Ort im egapark ermöglicht der Denkort Bücherverbrennung 1933 so das historisch informierte Nachdenken in einer Zeit, in der die Werte von Vielfalt und Menschenwürde von Neuem durch das Erstarken rechtsextremer Kräfte bedroht sind.
Der Denkort Bücherverbrennung 1933 wurde am 15. November 2024 im egapark Erfurt mit einer Veranstaltung im Mainzpavillon eingeweiht. Den Auftakt zur Einweihung gestaltete Deborah Driesner, Freiwillige im FSJ Kultur am Erinnerungsort Topf & Söhne, mit einer Klarinettenvariation, die von Yehezkiel Braun komponiert wurde. Durch das Programm führte PD Dr. Annegret Schüle, Oberkuratorin am Erinnerungsort Topf & Söhne und Projektleiterin für den Denkort Bücherverbrennung 1933.
Als erster Redner trat Oberbürgermeister Andreas Horn ans Mikrofon und sprach seinen Dank für das bürgerschaftliche Engagement der Omas gegen Rechts für das Denkmal aus, das von „erschreckender Aktualität“ sei. Er betonte, dass dies ein guter Tag sei, denn „die Stadt, der egapark, [und] die Zivilgesellschaft unterstreichen und stärken mit diesem neuen Denkmal unsere Haltung – gegen Antisemitismus und Rassismus, gegen völkisches Denken und die Hetze gegen Minderheiten, für Vielfalt, Demokratie und Menschenwürde.“
Im Anschluss trug Jakob Heinz vom Erfurter Jugendtheater Die Schotte Erich Kästners Text „Über das Verbrennen von Büchern“ vor. Kästner beschrieb 15 Jahre später, wie er als Augenzeuge am 10. Mai 1933 die Verbrennung seiner Bücher in Berlin miterlebte. Anschließend zitierte Annegret Schüle aus dem Bericht in der Mitteldeutschen Zeitung, die am 1. Juli 1933 über die Bücherverbrennung in Erfurt berichtete. Die nationalsozialistische Propagandasprache des Artikels zeigt eindrücklich, wie vor 91 Jahren an dieser Stelle junge Menschen mit antisemitischer Hetze und Geschichtsmythen für die nationalsozialistische Diktatur mobilisiert wurden.
In seinem anschließenden Grußwort bedankte sich auch Ministerpräsident Bodo Ramelow für das zivilgesellschaftliche Engagement der Omas gegen Rechts und verwies auf die Aktualität des Denkmals. Er warnte eindringlich vor den Gefahren einer Normalisierung rechtsextremen Gedankenguts. Wozu dies führe, könne man an der Machtübertragung an die Nationalsozialisten 1933 sehen. Auch diese hatte eine Vorgeschichte, die mit den Wahlergebnissen der NSDAP 1924 in Thüringen begann. Jeder Mensch, so forderte er auf, möge „darüber nachzudenken: Was bedeutet es, wenn man konsequent zu Ende führt, was mit einem Verbrennen von Büchern beginnt?“ Nach der Rede des Ministerpräsidenten erfolgte ein weiterer Auftritt des Jugendtheaters Die Schotte. Jonas Pawelski las den Text von Oskar Maria Graf „Verbrennt mich!“. Darin wehrte sich der Autor wenige Tage nach den Bücherverbrennung in Berlin in der Wiener Arbeiterzeitung dagegen, dass er, der die Ideologie der Nationalsozialisten entschieden ablehnte, von ihnen empfohlen und auf ihre „Weiße Liste“ gesetzt wurde.
Im Anschluss ergriff Kathrin Weiß, die Geschäftsführerin des egaparks, das Wort. Sie erinnerte sich zurück, wie die Omas gegen Rechts das erste Mal während der Vorbereitungen auf die Bundesgartenschau auf den egapark zukamen und den Denkanstoß lieferten, sich mit der Geschichte des Geländes auch vor 1961 zu beschäftigen. Da der egapark auch den Anspruch habe, ein Bildungsort zu sein, sei sie froh, dass nun ein Angebot geschaffen wurde, dass „dem Gedenken an 1933 gerecht wird“. Letztlich sei so ein Ort entstanden, der „für das Erinnern und nicht fürs Vergessen“ stehe.
Nachdem die Omas gegen Rechts in sämtlichen zuvor gehaltenen Reden bereits erwähnt wurden, trat nun Gabriele Wölke-Rebhan vor das Publikum, um im Namen der Initiatorinnen zu sprechen. Sie berichtete von dem herausfordernden Prozess der Entstehung des Denkortes und zeigte sich sehr zufrieden, dass sich die Ausdauer gelohnt habe. Sie betonte, dass die Omas gegen Rechts ihre Verantwortung darin sähen, über die Gefahren von Diktaturen aufzuklären und sich immer zusammen mit der jüngeren Generation für Demokratie einsetzen wollten. Sie endete damit, dass die Eröffnung des Denkortes kein Abschluss sei, sondern es nun gelte, ihn mit Leben zu erfüllen. Dann erfolgte die letzte Lesung, diesmal wurde ein Text von Ernst Toller zu Gehör gebracht. Toller war ein jüdischer Autor, der für seine Beteiligung an der Münchner Räterepublik 1919 für fünf Jahre in Haft kam. Zu dieser Zeit fand er die Inspiration für das von Tjaade Kriegelstein vorgetragene „Schwalbenbuch“. 1933 wurde er von den Nationalsozialisten ausgebürgert und musste in die Emigration gehen.
Jan Schenck, der durch das Online-Portal https://verbrannte-orte.de zahlreiche Orte von Bücherverbrennungen in Deutschland überhaupt erst wieder bekannt gemacht hatte, sprach als nächster. In seinem Grußwort betonte er, dass der Denkort nicht nur ein „symbolischer Ort der jährlichen Rituale sein“ sollte, sondern „ein Ort des eigenständigen Denkens und freien Sprechens“. Schenck führte aus, dass angesichts der Wahlerfolge der AfD und der Anzahl der antisemitischen Übergriffe nach dem 7. Oktober 2023 die Gesellschaft wieder vor großen Herausforderungen stehe. Diese Entwicklungen gelte es aufzuhalten.
Drei Schülerinnen des evangelischen Ratsgymnasiums, die ein Teil des Bildungsprojektes „Bücherverbrennung und Demokratie“ waren, berichteten nun über ihre Erfahrungen. Sie erzählten von dem von ihnen konzipierten und durchgeführten Workshop „Hat Deutschland seine Zukunft verbrannt?“, in dem sie sich mit Magnus Hirschfeld und dessen Institut für Sexualwissenschaften beschäftigten. Seine Forschungsergebnisse seien durch die Zäsur der Bücherverbrennungen viel zu lang in Vergessenheit geraten, deswegen sei es besonders wichtig, daran zu erinnern. Denn Geschichte höre „nicht mit dem Stundenklingeln auf“, Erinnern sei eine ständige Verantwortung.
In ihren abschließenden Worten wies PD Dr. Annegret Schüle darauf hin, dass der Workshop zum Denkort Bücherverbrennung 1933 künftig nicht nur im Grünen Klassenzimmer der egapark angeboten werden wird, sondern auch am Erinnerungsort Topf & Söhne selbst gebucht werden kann. Zum Ausklang spielte Deborah Driesner ein weiteres Klarinettenstück: Das Lied „Zur mischelo“, das traditionell am Schabbat gesungen wird. Anschließend erkundeten die zahlreichen Besucher und Besucherinnen den Denkort im Mainzgarten und tauschten sich weiter aus.