Erinnern – Verstehen – Ermutigen. Historisch-politische Bildungsarbeit am Erinnerungsort Topf & Söhne
Der Erinnerungsort Topf & Söhne vermittelt die gut erforschte und dokumentierte Geschichte der Mittäterschaft einer ganz normalen Firma am Holocaust und bietet damit einen einzigartigen Raum zur Reflexion aktueller gesellschaftlicher Fragen. Weil der Erinnerungsort vor dem historischen Hintergrund die für jeden Menschen relevante und oft unbequeme Frage nach der Verantwortung jedes und jeder Einzelnen im gewöhnlichen beruflichen Alltag stellt, hat er als historisch-politischer Lernort ein herausragendes Potenzial.
Ziele der Bildungs- und Vermittlungsarbeit
Mit innovativen und multiperspektivisch angelegten Formaten und Methoden fördert der Erinnerungsort Topf & Söhne verständnisorientierte Geschichtsvermittlung und nimmt auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen Bezug. Das forschende Lernen, die angeleitete Beschäftigung mit historischen Quellen und die kritische Auseinandersetzung mit geschichtlichen und gesellschaftspolitischen Fragestellungen sind zentrale Arbeitsmethoden.
Ziel unserer historisch-politischen Bildungsarbeit ist die Förderung eines reflektierten Geschichtsbewusstseins, also die Anregung zur persönlichen Auseinandersetzung mit der Geschichte und darauf aufbauend die Ermutigung zur eigenen Urteilsfindung. In der Auseinandersetzung mit der Geschichte des Nationalsozialismus kann gezeigt werden, wohin sich eine Gesellschaft entwickelt, wenn die Mitmenschlichkeit als Handlungsmaxime verloren geht. Jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin soll befähigt werden, die Fragestellungen, die sich aus der Auseinandersetzung mit der Geschichte ergeben, zu durchdringen und sie in seine und ihre heutige, alltägliche Lebenswelt übertragen zu können. Damit stellt sich die Bildungs- und Vermittlungsarbeit die Aufgabe, die gesellschaftlichen und individuellen Potenziale für soziale Verantwortung, Demokratie und Menschenrechte zu stärken und gegen jede Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit Stellung zu beziehen.
Durch die berührende Begegnung mit Überlebenden der Shoah und die Dokumentation ihrer Erfahrungen sowie ihrer Perspektive auf die Mittäterschaft von Topf & Söhne an den Massenverbrechen in den Lagern bewahrt der Erinnerungsort das unersetzbare Vermächtnis der Überlebenden für heutige und zukünftige Generationen und vermittelt ihre Botschaft der Mitmenschlichkeit nach dem Ende der direkten Zeitzeugenschaft weiter.
Wechselnde Sonderausstellungen erweitern die thematische Bandbreite. Sie werden mit einem spezifischen pädagogischen Begleitprogramm – häufig in Verbindung mit der Dauerausstellung – kombiniert.
Grundsätze der Bildungs- und Vermittlungsarbeit
In der Regel steht der außerschulische Lernort für Jugendliche ab dem neunten Schuljahr offen, ebenso wie für Gruppen der Erwachsenenbildung. Wenn nicht anders gekennzeichnet, sind die Angebotsformate offen für unterschiedliche Lerntypen oder Motivationslagen.
Besonderes Anliegen des Erinnerungsortes sind Angebote für die in Gedenkstätten unterrepräsentierte Zielgruppe der Berufsschüler/-innen. Jugendliche in Berufsausbildung und -vorbereitung haben eigene Anknüpfungspunkte durch ihre Erfahrung mit Unternehmenspraktiken und betrieblichen Abläufen, wie sie auch die Dokumente in der Dauerausstellung widerspiegeln.
Für verschiedene Berufsgruppen, wie zum Beispiel technische und kaufmännische Berufe sowie Angehörige von Polizei, Bundeswehr und Justiz bieten wir Führungen und Seminare an, die einen Raum bieten für die Reflexion spezifischer berufsethischer Fragestellungen. Auch die regelmäßig stattfindenden Fortbildungen für Lehrkräfte und Multiplikator/-innen sind praxisnah und basieren auf der langjährigen Erfahrung als außerschulische Bildungseinrichtung.
Wichtig ist uns, mit unserer Bildungs- und Vermittlungsarbeit auch Menschen mit Lernbehinderungen und Lernschwierigkeiten zu erreichen, die häufig von Bildungssettings ausgeschlossen sind. In der Kooperation mit "Barrierefrei erinnern – Das Zentrum für Thüringen" des Landesverbandes Thüringen der Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung baut der Erinnerungsort seine konzeptionellen Zugänge und Angebotsformate in Leichter Sprache aus.
Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus ist für alle Mitglieder der Gesellschaft – mit und ohne Migrationshintergrund – von Bedeutung. Die Angebote des Erinnerungsortes werden deshalb kontinuierlich auf die Bedarfe und Herausforderungen der (post-) migrantischen Gesellschaft hin überprüft und angepasst, um die Geschichte des Nationalsozialismus auch für Menschen mit kulturellen Wurzeln außerhalb Europas zugänglich zu machen und aktuelle lebensweltliche Anknüpfungspunkte zu schaffen.
In der Planung der Führungen, Seminare und Fortbildungen orientiert sich das Bildungsteam des Erinnerungsortes an Vorwissen, Interessen und Wünschen der Gruppe. Die Themen und Formate werden jeweils zielgruppenorientiert auf die Kenntnisse und Bedürfnisse der Teilnehmenden zugeschnitten. Bestehende Konzepte werden deshalb kontinuierlich überarbeitet und weiterentwickelt.
Die Angebote der Bildungs- und Vermittlungsarbeit werden von der Gedenkstättenpädagogin des Erinnerungsortes Topf & Söhne und von freiberuflichen Guides betreut, die vom Erinnerungsort intensiv aus- und fortgebildet werden. Im Bildungsteam verbinden sich Kompetenzen aus Pädagogik, Geschichte, Politikwissenschaften und Soziologie.
Für seine innovative Bildungs- und Vermittlungsarbeit wurde der Erinnerungsort 2014 mit dem Museumspreis der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen ausgezeichnet.