Interview mit Éva Fahidi-Pusztai – Teil 1
Familie und Kindheit
Die Demokratie müssen wir beschützen. Wenn es keine Demokratie gibt, ist es nur ein Schritt zum Massenmord – und das ist tatsächlich so.
Éva Fahidi-Pusztai wurde am 22. Oktober 1925 in Debrecen in Ostungarn geboren. Ihre Eltern Irma und Dezső Fahidi entstammten großen jüdischen Familien. Der Vater betrieb mit seinem Bruder eine Holzhandlung. 1933 wurde das langersehnte Schwesterchen Gilike geboren. Die Eltern konvertierten 1936 zum Katholizismus, in der Hoffnung, die Familie damit vor nationalsozialistischer Verfolgung bewahren zu können. Éva besuchte die Klosterschule, lernte Latein und Französisch und war eine begeisterte Sportlerin. Sie bereitete sich auf die Musikakademie in Budapest vor.
Am 19. März 1944 besetzte die deutsche Wehrmacht Ungarn. Am 21. März wurde das Haus der Fahidis von einem deutschen Major beschlagnahmt, am 29. April wurde die Familie ins Ghetto verschleppt. Die Deportation der Familie im Viehwaggon in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau begann am 27. Juni 1944.
In acht Wochen, vom 15. Mai bis 9. Juli 1944, wurden unter Leitung von Adolf Eichmann und organisiert von der ungarischen Polizei 438.000 ungarische Juden nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Fast alle wurden sofort nach ihrer Ankunft im Gas ermordet und in den Öfen von Topf & Söhne oder – weil die Kapazität der Öfen nicht ausreichte – in offenen Gruben verbrannt. Darunter waren die Eltern, die Schwester und fast ihre ganze Großfamilie, insgesamt 49 Personen.
Éva Fahidi-Fahidi wurde nach der Ankunft in Auschwitz-Birkenau am 1. Juli 1944 als „arbeitsfähig“ selektiert. Am 13. August wurde sie zur Zwangsarbeit nach Deutschland in das KZ Münchmühle verschleppt, ein Außenlager von Buchenwald im hessischen Allendorf. Dort musste sie in einem Sprengstoffwerk der Dynamit Nobel AG arbeiten, ein Unternehmen der IG Farben. Sie wurde am 30. März 1945 von US- amerikanischen Truppen befreit.
Im November 1945 kehrte sie nach Ungarn zurück, wo sie von einer Schwester ihrer Mutter aufgenommen wurde, der einzigen Verwandten, die mit Mann und Tochter überlebt hatte. Durch die schwere Arbeit im Rüstungsbetrieb in Allendorf körperlich beeinträchtigt, konnte sie ihren Traum von einem Leben als Pianistin nicht mehr verwirklichen. Jahrelang musste sie als Hilfsarbeiterin arbeiten. Später war sie im staatlichen Außenhandel tätig. Mit ihrem Ehemann Béla Pusztai adoptierte sie zwei Kinder.
Nach 1989 gründete sie ein kleines Unternehmen und exportierte Handarbeiten. Als Markennamen wählte sie Gili, als Logo ein kleines tanzendes Mädchen mit Zöpfen. „Wenn Gili irgendwo lebt und ihr zufällig so eine Handarbeit in die Hände kommen würde, würde sie erkennen, dass es eine an sie gerichtete Botschaft war. Denn seinen Namen vergisst man nicht.“, schreibt Éva Fahidi-Pusztai in ihrem Buch „Die Seele der Dinge“. 59 Jahre nach ihrer Deportation besuchte sie 2003 erstmals die Gedenkstätte in Auschwitz. Erst danach brach sie ihr Schweigen und berichtet seitdem bei Begegnungen überall auf der Welt von ihren Erinnerungen an den Holocaust.
Éva Fahidi-Pusztai starb am 11. September 2023 in Budapest.