Thüringer Allgemeine: Gegen Geschichtslügen: Wo in Thüringen Bücher brannten

12.11.2024 17:45

Wie die Hartnäckigkeit älterer Frauen aus Erfurt einen Erinnerungsort ermöglichte, an dem junge Menschen mehr über die Barbarei der Nazis erfahren können.

von Elena Rauch

Erfurt. Auf dem schmalen Pflasterweg sind 28 Drucklettern eingebracht. Aus der Entfernung einiger Schritte auch die Jahreszahl 1933. Flankiert von fünf Kegeln, die an Lautsprecher erinnern. Gabriele Wölke-Rebhan lässt den Blick über den Ort schweifen, sie wirkt zufrieden. Oder erleichtert. Es lohnt sich, unbequem zu bleiben. Sie gehört zur Erfurter Gruppe der Omas gegen Rechts, ohne deren Hartnäckigkeit es diesen Gedenkort nicht gebe.

Linkerhand liegt die Stadt, von wo aus Erfurter Bürger dem Aufruf der Hitlerjugend folgten, „undeutsche Literatur“ aus ihren Bücherschränken zerrten und sie auf die Anhöhe schleppten. Rechts lag der Sportplatz des Vereins für Jugend- und Volksspiele, wo an jenem 29. Juni 1933 die Bücher in den Flammen des „Sonnenwendefeuers“ verbrannten. Heine, Döblin, Brecht, Tucholsky, Kästner…  Den Blick über die Stadt öffnet der Ort noch immer, den Sportplatz überdecken heute Blumenrabatten und Ziersträucher des Egaparks.

Jahrzehntelang wusste niemand mehr, was hier 1933 geschah. Erst das Projekt „Verbrannte Orte“ hatte den Ort vor gut zehn Jahren aus dem Vergessen geholt. Der Fotograf Jan Schenck dokumentierte Orte von Bücherverbrennungen, und stellte sie auf eine interaktive Karte. Erfurt gehört zu den elf markierten Orten in Thüringen, 160 sind es deutschlandweit. Eine Topografie kultureller Barbarei und ein Menetekel. „Sie werden Bücher verbrennen und uns damit meinen…“, schrieb 1932 der jüdische Autor Joseph Roth.

In Kahla und in Nordhausen erinnern seit vergangenem Jahr Tafeln an die Orte der Bücherverbrennung. Der neue Gedenkort in Erfurt wird am 15. November eingeweiht. Aber ein einfacher Weg war es nicht.

Jahrzehnte war der Ort eine Erinnerungslücke

Als Gabriele Wölke-Rebhan und ihre Mitstreiterinnen von dieser Erinnerungslücke in ihrer Stadt erfuhren, beschlossen sie, etwas dagegen zu tun. Die Vergangenheit muss sichtbar werden. An einem Ort der Entspannung, wo Familien mit ihren Kindern flanieren, ausgerechnet? Wenn sie sich an die ersten Reaktionen der Egapark-Leitung erinnert, ist das Wort Skepsis noch ziemlich untertrieben. Sie ließen sich nicht abwimmeln.

Kein Denkmal für leere Rituale

2020 sprachen sie beim Oberbürgermeister vor, im selben Jahr wurde die Errichtung eines Gedenkorts Stadtratsbeschluss. Dass ihnen der Erfurter Erinnerungsort Topf & Söhne mit seiner Expertise zur Seite stand, nennt Gabriele Wölke-Rebhan einen Glücksfall. Sie hätten, sagt sie, nie ein Ort für leere Gedenkrituale gewollt. Er sollte vor allem die jungen Menschen abholen, um sie gehe es schließlich.

Jugend wappnen gegen Geschichtsfälscher und Populisten

Das ist, findet sie, gelungen. Die Texte der Autoren, die 1933 hier brannten, haben Mitglieder des Erfurter Schotte-Jugendtheaters aufgenommen, man kann sie über QR-Codes an den stilisierten Lautsprechern abrufen. Auch die Workshops, deren Material ebenfalls online zugänglich ist, haben Schüler im Erinnerungsort Topf & Söhne erarbeitet. Die Seminare zum Thema Bücherverbrennung werden künftig zum Lernangebot des Erinnerungsortes gehören.

Erinnerung braucht Wissen. Wie soll man junge Menschen sonst wappnen gegen Geschichtsfälscher und Populisten? Wie sollen sie verstehen, dass Demokratie nicht selbstverständlich ist? Das sind wir, sagt sie, ihnen schuldig.