Veranstaltungsbericht zur Eröffnung der Sonderausstellung "Die zwei Tode des Paul Schäfer"
"Wir geben den Erfurtern ein Stück ihrer Stadtgeschichte zurück!" – mit diesen Worten eröffnete Dr. Annegret Schüle, Kuratorin des Erinnerungsortes, am Samstag, dem 25. August 2018, die Ausstellung "Die zwei Tode des Paul Schäfer. Legende und Lebensgeschichte eines Erfurter Kommunisten". Gut gefüllt war der Veranstaltungsraum; viele Erfurter Bürgerinnen und Bürger waren gekommen, um mehr über das Leben eines Mannes zu erfahren, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebte und der sich als engagierter Arbeiter und Betriebsrat im "Zeitalter der Extreme" dem Kommunismus verschrieb und später dann Opfer zweier totalitärer Regime wurde – zunächst verfolgt und vertrieben von den Nationalsozialisten und danach ermordet in den stalinistischen Säuberungen.
Aufgewachsen war Paul Schäfer zur Jahrhundertwende als Sohn einer alleinerziehenden Schuharbeiterin. Nach seiner Teilnahme am Ersten Weltkrieg schloss er sich der KPD an und machte in den Zwanzigerjahren Karriere als Arbeitervertreter und Stadtpolitiker. 1925 nahm er an der ersten Arbeiterdelegationsreise in die Sowjetunion teil – in das Land, das zu seinem Sehnsuchtsland wurde. Danach arbeitete er als Sekretär der Internationalen Arbeiterhilfe – zunächst in Thüringen, dann in Frankfurt-Hessen. 1935 emigrierte er auf der Flucht vor der Gestapo nach Moskau, wo er 1938 unter der falschen Anklage, er sei ein faschistischer Spion, im Alter von 42 Jahren vom sowjetischen Geheimdienst hingerichtet wurde. Was Paul Schäfers Leben und vor allem sein Nachleben so besonders macht, ist die Tatsache, dass die stalinistischen Herrscher der DDR nach dem Zweiten Weltkrieg den tragischen Tod des Erfurters, dessen genaue Umstände sie kannten, ausblendeten und stattdessen die Verbreitung der falschen Legende, der Kommunist Paul Schäfer sei im Kampf gegen den Faschismus im spanischen Bürgerkrieg gefallen, ermöglichten und unterstützten. Vor dem Hintergrund dieser Geschichtsfälschung erlangte Paul Schäfer im Erfurt der Nachkriegsjahrzehnte Berühmtheit: Der große VEB "Paul Schäfer" firmierte unter seinem Namen, und noch heute ist eine Straße im Erfurter Norden nach ihm benannt.
Ein außergewöhnliches Leben und Nachleben, ein für viele Erfurterinnen und Erfurter beziehungsreicher Teil der Stadtgeschichte, eingebettet in die Weltgeschichte, in eine Epoche der Ideologien, Utopien, Revolutionen und grausamsten Verbrechen – für Annegret Schüle war dieses biografische Schicksal mit seinen vielfältigen Bezügen der spannungsvolle Ausgangspunkt für die Konzeption und Verwirklichung dieser Ausstellung. Sie hat sie gemeinsam mit ihren Kollegen Stefan Weise, Juliane Podlaha und Thomas Schäfer, Paul Schäfers Urenkel, erarbeitet. Der studierte Historiker und angehende Lehrer steuerte insbesondere verschiedene Dokumente und Fotos für die Präsentation aus dem Familienarchiv bei. Wie er zur Ausstellungseröffnung den zahlreichen Besucherinnen und Besuchern berichtete, reiste er mit seiner Mutter persönlich nach Moskau und konnte dort in den Archiven als Familienangehöriger eine Kopie der Strafakte und der Parteiakte von Paul Schäfer erhalten.
Umrahmt wurde die Eröffnungsveranstaltung von den musikalischen Darbietungen des Cellisten Eugen Mantu und der Pianistin Yuki Nishio; die beiden Musiker vom Kammermusikverein Erfurt e. V. spielten Werke von Dmitri Schostakowitsch. Nach der offiziellen Eröffnung konnten die Gäste erstmals die Erträge der umfangreichen Forschungen der Ausstellungsmacher – durchgeführt in regionalen, nationalen und internationalen Archiven – in Augenschein nehmen. Anhand der Fülle an Schriften, Fotos und Dokumenten, welche das Ausstellungsteam erhoben und in der Ausstellung aufbereitet hatte, konnten die Besucherinnen und Besucher Paul Schäfer begegnen, einem Mann, dessen Biografie exemplarisch für viele verworrene, gebrochene und auch tragische Lebenslinien im "Zeitalter der Extreme" steht.
Die Ausstellung ist geöffnet bis zum 28. April 2019.
Dank unseres Förderkreismitglieds Holger Wiemers können wir unseren Besucherinnen und Besuchern regelmäßig von den anregenden Diskussionen, Gesprächen und Begegnungen im Erinnerungsort berichten.