Thüringer Allgemeine: Paul Schäfers Tod in Spanien war infame Lüge der DDR-Führung
von Hanno Müller
Erfurt. Zu DDR-Zeiten war Paul Schäfer allgemein bekannt. Das Erfurter Schuhkombinat trug seit 1953 seinen Namen. An seinem Wohnhaus verweist bis heute eine Gedenktafel auf ihn. Die Aufschrift "Im Kampf gegen den Faschismus gab er sein Leben" würdigt ihn als Spanienkämpfer und Antifaschisten. Und auch im Ehrenhain für die Verfolgten des Naziregimes auf dem Erfurter Hauptfriedhof sind Name und Lebensdaten noch zu finden.
Doch die in der DDR über Paul Schäfer erzählte Legende war eine Lüge. Verbreitet wurde sie mit dem Wissen namhafter SED-Größen, unter ihnen DDR-Staatspräsident Wilhelm Pieck, SED-Chef Walter Ulbricht, der Schriftsteller Erich Weinert. Angeblich fiel der Erfurter im März 1937 als Interbrigadist im Kampf gegen Franco. Paul Schäfer aber war niemals in Spanien. Über Paris waren er und seine Lebensgefährtin Anna Löchner Ende 1935 in die Sowjetunion emigriert. Dort geriet der überzeugte Kommunist im Rahmen der stalinistischen Säuberungen in die Mühlen der "deutschen Operation". Sein Leben verlor er nicht im Spanienkrieg im März 1937, sondern im russischen Exil im März 1938, ermordet wegen angeblicher "konterrevolutionärer Spionagetätigkeit zugunsten Deutschlands".
All das rekapituliert ab heute die Ausstellung "Die zwei Tode des Paul Schäfer" im Erfurter Lernort Topf & Söhne. Schäfer sei eine tragische Figur, mit historischen Beweisen aus Moskauer Archiven dekonstruiere man eine Legende, mit der Generationen von Erfurtern aufgewachsen seien, sagt Museumschefin Annegret Schüle, die die Schau mit Verena Bunkus, Juliane Podlaha und Stefan Weise kuratiert hat. Unterstützung kam zudem von Schäfers Urenkel Thomas Schäfer, der in Thüringen Geschichte unterrichtet. Möglich geworden sei die Wahrheitsfindung erst durch die Öffnung der russischen Archive nach der Wende.
Dass in der stalinistischen DDR unliebsame Aspekte der Geschichte gefälscht oder verschwiegen wurden, ist keine Neuigkeit. In Ungnade gefallene Personen wurden mitunter komplett aus dem öffentlichen Gedächtnis getilgt. Ein derartiger Geschichtskomplott, bei dem der Ermordete mittels fingierter Heldensaga im Nachhinein von seinen Genossen auch noch für deren eigene Legitimation missbraucht wurde, sucht allerdings seinesgleichen. Zwar sprechen die Ausstellungsmacher selbst nicht von einer Lüge. Ihre Belege sind allerdings mehr als erdrücken.
Tatsächlich hat Paul Schäfer, als er im Dezember 1935 auf der Flucht vor der Gestapo in Leningrad eintrifft, eine bewegte Biografie als Gewerkschaftler und Arbeiterfunktionär hinter sich. 1894 in der Erfurter Steinstraße 19 geboren, fängt er mit 14 Jahren in der Schuhfabrik M. & L. Hess an, später wechselt er zur Eduard Lingel Schuhfabrik. Mit seiner ersten Frau Hulda hat er drei Kinder. 1919 tritt er in die KPD ein, Anfang der 1920er ist er Betriebsrat bei Lingel, 1924 wird er Stadtverordneter. Auf Einladung sowjetischer Gewerkschaften weilt er im Sommer 1925 in der Sowjetunion. Dabei kommt es auch zu einem Treffen mit Trotzki. Bis zur Machtergreifung der Nazis engagiert er sich in der Internationalen Arbeiterhilfe (IAH) um den gebürtigen Erfurter Willi Münzenberg.
Und genau da beginnt die Geschichtsklitterung. Münzenberg, der im Auftrag der Kommunistischen Internationale (Komintern) agiert, geht auf Distanz zu Stalin. 1940 wird er bei Grenoble tot aufgefunden. Angeblich ein Selbstmord, ein stalinistischer Auftragsmord gilt als wahrscheinlicher. In der DDR ist das ebenso ein Tabu wie Paul Schäfers Verbindung zur IAH.
Und das, obwohl höchste SED-Funktionäre eingeweiht waren. Als Schäfer in den 1930er Jahren im russischen Exil um seine Existenz ringt, gehören Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht dort zur Exilleitung der KPD. Sie wissen, welche Genossen im Land sind und werden auch zu Mitwissern der stalinistischen Säuberungen gegen Deutsche. "Der Verhaftung deutscher Kommunisten folgte der Ausschluss aus der KPD durch die Exilleitung. Dafür kursierten Listen unter der Exilführung, auf denen neben Pieck und Ulbricht auch Herbert Wehner, Deckname Kurt Funk, Wilhelm Florin und Walter Hänel, Deckname Kunert, unterschrieben", sagt Annegret Schüle. Erhalten seien 18 Listen, durch die zwischen 1936 und 1938 über 700 verhaftete KPD-Mitglieder relegiert wurden. In der Ausstellung zu sehen ist die Aufstellung vom 21. Juni 1938 mit 140 Männern und Frauen, Paul Schäfer ist Nr. 38. "Wilhelm Pieck und Wilhelm Florin kannten Schäfer persönlich, wahrscheinlich auch Walter Ulbricht", so die Kuratorin. Die Genannten schweigen darüber später ebenso wie das Ehepaar Elisabeth und Erich Weinert, das in Moskau engen Kontakt zu Schäfer und seiner Lebensgefährtin Anna Löchner hält. Daran ändert auch nichts, dass ein russisches Gericht schon 1940 feststellt, alle Vorwürfe gegen Schäfer seien erfunden gewesen. Als Hulda Schäfer, deren Ehe mit Paul Schäfer nie gelöst wurde und die vermutlich nichts über das Schicksal ihres Mannes wusste, nach dem Krieg Opferrente beantragt, informiert man sie über eine Radiosendung von 1937, in der Schäfers Tod in Spanien mitgeteilt worden sei.
Dabei bleibt es. Zeitungen und Augenzeugen werden in den folgenden Jahrzehnten den Tod als Interbrigadist immer wieder bestätigen. Ab 1966 verleiht das "Neue Deutschland" den Paul-Schäfer-Preis an Korrespondenten, die sich in ihren Beiträgen für die Entwicklung der internationalen Beziehungen einsetzen. Im erwähnten Ehrenhain für die Verfolgten des Naziregimes auf dem Erfurter Hauptfriedhof steht noch heute das vermeintliche Sterbedatum 1937. In den nächsten Monaten wollen die Ausstellungsmacher mit vielen Erfurtern über das Erbe Paul Schäfers ins Gespräch kommen.