Verfolgen und Aufklären. Die erste Generation der Holocaustforschung

25.01.2025 10:00 – 01.11.2026 18:00

Eine zweisprachige Ausstellung (dt./engl.) der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannseekonferenz und der Touro University Berlin in Kooperation mit The Wiener Library

Schwarz Weiß Foto von fünf Personen an einem Tisch
Bild: Mitglieder der Jüdischen Historischen Kommission bei der Sichtung von gerade geborgenen Teilen des Oyneg Shabes-Archivs in Warschau, 1950 Foto: © Yad Vashem Photo Archive, 8839/1
01.11.2026 18:00

Verfolgen und Aufklären. Die erste Generation der Holocaustforschung

Genre Ausstellung
Veranstalter Erinnerungsort Topf & Söhne
Veranstaltungsort Erinnerungsort Topf & Söhne, Sorbenweg 7, 99099 Erfurt
workTel. +49 361 655-1681+49 361 655-1681

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Verfolgen und Aufklären. Die erste Generation der Holocaustforschung

Foto: Joseph Wulf (Mitte) veröffentlichte die ersten Dokumentationen über den Holocaust in deutscher Sprache, hier mit zwei weiteren Mitgliedern der Jüdischen Historischen Kommission bei der Sichtung von Material aus dem geborgenen Oyneg Shabes-Archiv in Warschau, undatiert Foto: © The Ghetto Fighters’ House Museum, Israel/The Photo Archive

Zwischen 1939 und 1945 ermordeten die Deutschen und ihre Helfer in Europa annähernd sechs Millionen Jüdinnen und Juden. Der Holocaust zielte auf die Vernichtung von Menschen ebenso wie auf die Zerstörung ihrer Kultur. Alle Spuren des Verbrechens sollten getilgt werden.

Dieser vollständigen Auslöschung versuchten jüdische Forscherinnen und Forscher noch während des Mordens entgegenzuwirken. Durch das Sammeln von Zeugnissen dokumentierten sie das Geschehen, um die Dimensionen des Massenmordes und die Vernichtung jüdischer Lebenswelten sichtbar zu machen und daran zu erinnern. Im Exil, aber auch unter lebensfeindlichen Bedingungen in den Ghettos und Lagern, erforschten sie die Taten, sammelten Fakten und sicherten Spuren. Sie gründeten Archive und Gremien, die nach Kriegsende ihre Arbeit fortsetzten. Und sie wollten an die Ermordeten erinnern, die Shoah ergründen, die Täter vor Gericht stellen und gleichzeitig einen erneuten Genozid unmöglich machen. Angetrieben von unterschiedlichen Motiven, widmeten sich diese Frauen und Männer mit vielfältigen beruflichen Hintergründen der Erforschung und dem Gedenken an den Holocaust. Sie verweigerten damit den Verbrechern den endgültigen Triumph: Der millionenfache Mord fiel nicht dem Vergessen anheim und blieb nicht ohne Konsequenzen: Bücher, Gedenkstätten, Forschungsinstitute, Gerichtsprozesse und nicht zuletzt die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte sowie die UN-Genozidkonvention von 1948 waren Resultate ihres leidenschaftlichen Engagements.  Auf diesem Vermächtnis beruht unser heutiges Wissen über den Holocaust.

Die Ausstellung setzt Leben und Arbeit von zwanzig dieser Pionierinnen und Pioniere der Holocaustforschung ein Denkmal. Namen wie Rachel Auerbach, Raphael Lemkin, Massimo Adolfo Vitale, Louis de Jong und Joseph Wulf stehen exemplarisch für eine kleine Gruppe unermüdlicher Aufklärerinnen und Aufklärer. Ihre Arbeit, die mit bemerkenswerten methodischen Reflexionen über ihre eigene Doppelrolle als Forschende und Überlebende einherging, fand unter widrigsten Bedingungen im Chaos der Kriegs- und Nachkriegsjahre und im Angesicht des schmerzhaften Verlustes ihrer Angehörigen und ihrer Heimat statt. Von einer gleichgültigen und ablehnenden Umwelt gemieden, schufen sie die Grundlagen für die universelle Anerkennung des Holocaust als Menschheitsverbrechen und damit einen Ausgangspunkt für die Holocaustforschung, wie wir sie heute kennen.

Foto: Louis de Jong ordnet im Institut für Kriegsdokumentation in Amsterdam Dokumente über die deutsche Besatzung der Niederlande, 1950. Foto: © Nationaal Archief, Collection Spaarnestad Photo

Mit der Ausstellung werden die Lebenswege, Überlegungen und Anliegen, aber auch die methodischen Zugriffe auf die Überlieferungen zu einem in dieser Dimension bis dahin unbekannten Verbrechen rekonstruiert. Zur damaligen Zeit war der Name »Holocaust« unbekannt; die Überlebenden aus Polen gebrauchten meist die jiddische Bezeichnung »Churbn« – Zerstörung.

Aus Polen und der heutigen westlichen Ukraine stammte nicht nur die Mehrzahl der Opfer, dort hatten die deutschen Täter auch die meisten ihrer Vernichtungslager errichtet. Dort etablierten sich bereits 1944 verschiedene jüdische historische Kommissionen, in denen teilweise mehrere hundert Überlebende tätig wurden. Sie sammelten Täterdokumente, interviewten Zeitzeuginnen und Zeitzeugen und sicherten Beweisstücke an den Orten der Vernichtung. Dies fand auch in anderen Teilen Europas statt. In Budapest wurden umfassende Interviews mit Überlebenden der Ghettos und Lager geführt und in Italien erstellten Adolfo Vitale und seine Mitarbeiterinnen Listen mit den etwa 11.000 aus Italien und der Adriaregion in die Vernichtung Deportierten, um das Ausmaß der Katastrophe zu erfassen.

Die Dimensionen des Dokumentierens, Erforschens und Erinnerns gingen ineinander über und waren nicht ohne einander denkbar. An den Orten der Verfolgung richteten Überlebende erste Gedenkorte und Gedenksteine ein. Als weiterer zentraler Aspekt traten Strafverfolgung und Prävention hinzu. Während die Strafverfolgung nur eingeleitet werden konnte, wenn die Täter ermittelt und überführt werden konnten, erschien eine wirksame Prävention nur möglich, wenn die Spezifika einer ethnisch-rassistischen Verfolgung deutlich gemacht und von anderen Gewalttaten klar unterschieden werden konnten. Die frühe Holocaustforschung hatte daher eine eminent juristische Perspektive. Das »Verbrechen ohne Namen«, von dem Churchill bereits im Sommer 1941 gesprochen hatte, galt es zuerst in juristische Tatbestände zu übersetzen. Theoretiker des Völkerrechts wie Raphael Lemkin und Hersch Lauterpacht entwickelten Konzepte von »Genozid« und »Verbrechen gegen die Menschlichkeit«; Praktiker wie Simon Wiesenthal oder Tuviah Friedman spürten Mörder auf und führten sie den Strafverfolgungsbehörden zu. Viele der vorgestellten Protagonistinnen und Protagonisten waren mit ihrer Expertise für die Justiz tätig – vom Nürnberger Militärgerichtshof bis hin zum Prozess gegen Adolf Eichmann in Israel.

Angesichts dessen entstanden grenzüberschreitende Netzwerke – eine globale Community der Holocaustforschung. Vor diesem Hintergrund lässt sich keinesfalls die Theorie aufrechterhalten, dass die moderne Holocaustforschung erst in den 1970er Jahren entstanden sei. Ganz im Gegenteil: Die erste Generation dieser Aufklärer und Aufklärerinnen war bereits 30 Jahre früher aktiv. Der eigene Anspruch an Wissenschaftlichkeit war interdisziplinär, methodisch fundiert und anspruchsvoll – und er wurde auch eingelöst.

Die erste Generation der Holocaustforschung hatte oft mit Rückschlägen, Ignoranz, Ablehnung und Leugnung zu kämpfen. Sogar nach 1945 war sie nicht selten Gewalt und staatlichem Druck ausgesetzt – die vielfachen Fluchten und Migrationen dieser Überlebenden berichten davon. So sind ihre Biographien zugleich eine Verpflichtung, ihre Errungenschaften auf wissenschaftlichem und praktischem Gebiet gegen jene zu verteidigen, die sie anzweifeln und offen infrage stellen. Die Ausstellung möchte dazu beitragen, das Wissen über den Holocaust und die Erinnerung an die zerstörten jüdischen Lebenswelten lebendig zu halten und zur eigenen Auseinandersetzung damit anzuregen.

Veröffentlichungen

Cover Programmheft September bis Oktober

Programmheft Nov2024–Mar2025

Dateigröße: 1.9 MB | Dateityp: pdf | Dokument nicht barrierefrei

Herausgeber: Stadtverwaltung Erfurt, Erinnerungsort Topf & Söhne

Programmheft November 2024–März 2025

Veranstaltungen

„Verfolgen und Aufklären. Die erste Generation der Holocaustforschung“

Veranstaltung: 09.02.2025 15:00 – 15:45

Die Führung durch die der ersten Generation der Holocaustforschung gewidmeten Ausstellung „Verfolgen und Aufklären“ stellt ausgewählte Protagonistinnen und Protagonisten vor. Sie macht ihre Errungenschaften für Wissenschaft, Erinnerungskultur und Strafverfolgung sichtbar und zeigt die Widerstände auf, gegen die sie zu kämpfen hatten.