Miriam Rieger: Rede zur Eröffnung der Sonderausstellung „Verfolgen und Aufklären. Die erste Generation der Holocaustforschung“

Liebe Gäste,
wir stehen am Beginn eines großen Gedenkjahres. 80 Jahre Befreiung Ausschwitz, 80 Jahre Kriegsende. Wir werden viele Politiker-Reden hören. Gleich am Montag wird hier bei der Gedenkstunde Ministerpräsident Voigt den Anfang machen. Diese Reden sind wichtig, weil sie laut und deutlich aussprechen, in welcher Verantwortung wir als Land, als Nation stehen. Mit Reden allein ist es aber nicht getan. Wir können und dürfen Erinnerungskultur nicht an die Politik delegieren. Erinnerungskultur braucht historisch-politische Bildung.
Die erste Generation Holocaustforscher hat dafür die Grundlage gelegt. Sie haben Zeugnisse, Daten, Beweisstücke zusammengetragen und damit eine objektive, eine faktenbasierte Beschäftigung erst ermöglicht - in der Forschung, aber auch, und das war gerade in den Nachkriegsjahren mindestens genauso wichtig- in der Rechtsprechung. Die Frauen und Männer, die wir heute gleich noch besser kennen lernen werden, haben das unter einem fast nicht vorstellbaren Krafteinsatz getan. Wir sind ihnen im höchsten Maß verpflichtet. Diese Ausstellung ist auch eine späte Würdigung dieser Leistung, und dafür geht auch seitens der Landeszentrale ein herzlicher Dank an das Kuratorenteam Stephan Lehnstädt und Hans- Christian Jasch.
Im Rahmen der Ausstellung gibt es ein Begleitprogramm, dass der Erinnerungsort Topf & Söhne zusammen mit der Landeszentrale für politische Bildung veranstaltet und ich möchte Sie heute schon auf die erste Veranstaltung hinweisen: Am 11. Februar, das ist ein Dienstag, stellt Anna Corsten-Neidigk ihr Buch „Unbequeme Erinnerer“ vor. Darin geht es um die deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945. Corsten-Neidigk schildert, wie Historiker – Gendern ist hier überflüssig – im Nachkriegsdeutschland versucht haben, eine nationale Erzählung zu retten; dafür stehen Denkfiguren wie die „Zäsur von 1933“ oder die „Stunde Null“. Die erste Generation Holocaustforscher waren Außenseiter. Emigrierte Wissenschaftler galten als betroffen und damit nicht-objektiv, ihre Arbeiten wurden systematisch ausgegrenzt. Es brauchte Jahrzehnte und Impulse von außen, um Holocaust als Thema der Forschung zu etablieren. Anna Corsten-Neidigk hat ein wirklich sehr spannendes Kapitel Wissenschaftsgeschichte geschrieben und ich kann Ihnen nur empfehlen, merken Sie sich diesen Termin heute schon mal vor.
Der Erinnerungsort Topf & Söhne hat sich in den vergangenen 20 Jahren etabliert als Lernort für fundierte, quellenbasierte Bildungsarbeit und ist Experte für ein besonders verstörendes Stück deutscher, Erfurter Geschichte. Darauf, und das finde ich bemerkenswert, ruhen sich Annegret Schüle und ihr Team nicht aus. Der Erinnerungsort vernetzt sich mit der Zivilgesellschaft. Daraus ist im vergangenen Jahr der Denkort Bücherverbrennung entstanden. Und der Erinnerungsort erkennt Strukturen, die bis in die Gegenwart reichen, bis zum ebenfalls 2024 eingeweihten NSU-Mahnmal vor dem Thüringer Landtag. Zu beiden Themen, zu der Bücherverbrennung und zum NSU, hat der Erinnerungsort Bildungsangebote erarbeitet, die ortsunabhängig funktionieren.
Das begrüßen wir von der Landeszentrale für politische Bildung sehr. Thüringen ist ein Flächenland und wir wissen, wie schwierig eine Fahrt nach Erfurt für Schulklassen oder andere interessierte Gruppen ist. Daher ist die Landeszentrale mit dem Erinnerungsort in eine Kooperation getreten; wir werben gemeinsam für diese Bildungsangebote. Vor wenigen Tagen haben wir dazu mit den fünf staatlichen Schulämtern konferiert. Ein Anfang ist also gemacht. Das Gedenkjahr 2025 ist dafür ein guter Anlass.
Historisch-politische Bildung heißt, Vergangenes einordnen zu können; zu begreifen, dass Geschichte kein Naturereignis ist, sondern das Ergebnis einer langen Reihe von Entscheidungen, Entscheidungen von Menschen wie - uns. Historisch-politische Bildung heißt daher auch: Begreifen, dass ich die Welt um mich herum mitgestalte, jeden Tag aufs Neue. Historisch-politische Bildung ist daher eine Zukunftsaufgabe. Wir erinnern, um die Zukunft zu gestalten.
Demokratie braucht historisch-politische Bildung. Das hat der Landtag in Sachsen-Anhalt vor wenigen Tagen noch einmal eindrücklich bekräftig, und das freut uns als Landeszentrale sehr. Für uns gilt: Historisch-politische Bildung ist kein Ideologieprojekt, sondern faktenbasiert. Die Grundlagen dafür hat die erste Generation Holocaustforscher gelegt.
Vielen Dank!