Wohin bringt ihr uns? "Euthanasie"-Verbrechen im Nationalsozialismus

31.10.2020 10:00 – 01.05.2022 18:00

In Heil- und Pflegeanstalten wurden 1940/1941 in der „Aktion T4“ Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen systematisch ermordet. Die Ausstellung berichtet über diese erste planmäßige Vernichtung von Menschenleben im Nationalsozialismus sowie über die Vor- und Nachgeschichte der Verbrechen.

Ausstellungstitel neben einer alten Fotografie. Abgebildet sind Menschen, die um einen Bus versammelt stehen.
Bild: © Stadtverwaltung Erfurt
01.05.2022 18:00

Wohin bringt ihr uns? "Euthanasie"-Verbrechen im Nationalsozialismus

Genre Ausstellung
Veranstalter Stadtverwaltung Erfurt, Erinnerungsort Topf & Söhne
Veranstaltungsort Erinnerungsort Topf & Söhne, Sorbenweg 7, 99099 Erfurt
workTel. +49 361 655-1681+49 361 655-1681

Weitere Informationen

Buslinie 9 Richtung Daberstedt, Haltestelle (Spielbergtor), 4 Minuten zu Fuß links dem Nonnenrain folgen

B7 Richtung Weimar, Parkplatz an dem Erinnerungsort

Teilweise eingeschränkter Zugang, siehe nachfolgende Beschreibung

Wohin bringt ihr uns? "Euthanasie"-Verbrechen im Nationalsozialismus

Etwa 300.000 Menschen mit körperlichen, geistigen oder psychischen Beeinträchtigungen wurden von 1939 bis 1945 in Deutschland und in den besetzten Gebieten ermordet. Die Nationalsozialisten trieben damit die Diskussionen um „unwertes Leben“, die um die Jahrhundertwende begonnen hatten, zu einer mörderischen Konsequenz. Ihr Großverbrechen verschleierten sie mit dem Begriff „Euthanasie“ (deutsch: „schöner Tod“).

Sozialdarwinisten verbreiteten Ende des 19. Jahrhunderts die wissenschaftlich inzwischen widerlegte Vorstellung verschiedener „Menschenrassen“, die sich im Kampf miteinander befänden. Daraus entstand die Idee, durch „Rassehygiene“ die „eigene Rasse“ verbessern zu wollen, indem „minderwertiges“ Erbgut an der Fortpflanzung gehindert wird.

Dass die Vorstellung einer „Ungleichwertigkeit“ von Menschen schon lange Akzeptanz in der Gesellschaft gefunden hatte, begünstigte die Gleichgültigkeit oder Befürwortung weiter Teile der Bevölkerung gegenüber der Verfolgung betroffener Menschen, die dann im Nationalsozialismus einsetzte.

Sie begann mit dem 1933 verabschiedeten „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“, das zur Zwangssterilisation von etwa 400.000 angeblichen „Erbkranken“ führte. Betroffen waren vor allem Menschen, die sozialen Randgruppen angehörten oder unkonventionell lebten.

Mit dem nach Kriegsbeginn 1939 einsetzenden Massenmord erreichten die Verbrechen eine neue Qualität. Enge Vertraute von Adolf Hitler in der Kanzlei des Führers der NSDAP begannen nun mit der Organisation des Tötens von Anstaltspatienten. Dabei spielten auch kriegsökonomische Überlegungen eine wichtige Rolle. Die Vernichtung von vermeintlichen „Ballastexistenzen“ und „unnützen Essern“ sollte materielle und personelle Ressourcen einsparen. Die koordinierende Behörde hatte ihren Verwaltungssitz in der Tiergartenstraße 4. Nach ihrem Kürzel wird dieser zentral gesteuerte Massenmord, bei dem 1940/41 über 70.000 Menschen in den sechs Tötungsanstalten Brandenburg, Grafeneck, Hartheim, Pirna-Sonnenstein, Bernburg und Hadamar mit Gas getötet wurden, als „Aktion T4“ bezeichnet. Ein wichtiges Kriterium bei der Entscheidung für oder gegen eine Ermordung war die Leistungs- bzw. Arbeitsfähigkeit eines Patienten.

Im Verlauf des Krieges wurde das Morden auf Zwangsarbeiter, KZ-Häftlinge, politisch Andersdenkende, Juden, Sinti und Roma, als „asozial“ Verfolgte, Kriegsgefangene sowie auf traumatisierte Wehrmachtssoldaten, SS-Angehörige und Zivilisten ausgeweitet. Nach dem Stopp der „Aktion T4“ setzten viele der „T4“-Täter ihre Kenntnisse in der Massenvernichtung in Polen ein. Dort waren sie in den Vernichtungslagern der „Aktion Reinhardt“ – Belzec, Sobibor und Treblinka – an der Ermordung der europäischen Juden beteiligt.

Im Nachkriegsdeutschland wurden die Opfer der „Euthanasie“ und der Zwangssterilisationen lange nicht in das Gedenken an die nationalsozialistischen Verbrechen einbezogen. Das Verschweigen in der Öffentlichkeit und die Tabuisierung in den betroffenen Familien gingen noch Jahrzehnte weiter. Auch in den Geschichtswissenschaften blieben die Medizin-Verbrechen im Nationalsozialismus unbeachtet. Erst in den 1970er-Jahren setzten Bemühungen um eine Psychiatriereform und das Engagement für die Rechte von Menschen mit Behinderungen neue Impulse. Insbesondere Ernst Klee (1942 – 2013), der sich als Journalist engagiert für die Rechte behinderter Menschen und anderer Randgruppen in der Bundesrepublik einsetzte, forschte und publizierte zu den „Euthanasie“-Verbrechen und zur Shoah. Lange wurde er jedoch von Zeithistorikern nicht wahrgenommen und von Zeitgenossen sogar angefeindet. Indem er durch akribische Forschungen Täter und Opfer beim Namen nennen konnte, kämpfte er gegen die Verleugnung und gab den Verfolgten und Ermordeten ihre Identität zurück.

Erst um die Jahrtausendwende wurden die Urteile nach dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ aufgehoben und das Gesetz vom Bundestag geächtet. Doch bis heute sind die Opfer von Zwangssterilisation und Krankenmord den anderen Verfolgten des Nationalsozialismus nicht gleichgestellt. Umso wichtiger ist die Arbeit der Gedenkstätten, die inzwischen in allen sechs ehemaligen Tötungszentren der „Aktion T4“ mit Forschungsprojekten, Ausstellungen und Publikationen über die „Euthanasie“-Verbrechen aufklären und der Opfer gedenken. Sie unterstützen damit die Recherchen von Angehörigen und die zahlreichen zivilgesellschaftlichen Gedenkinitiativen wie das Verlegen von Stolpersteinen für die Ermordeten.

Einblicke in die Ausstellung

Veröffentlichungen

Reden

Pressestimmen

MDR-Kultur: Erfurter Ausstellung zeichnet das Verbrechen der Euthanasie nach

Pressestimme: 31.10.2020 12:00

In der Fabrik Topf & Söhne wurden einst die Leichen-Verbrennungsöfen für Auschwitz gefertigt. Mittlerweile befindet sich dort ein Erinnerungsort, der sich mit den Verbrechen der Nationalsozialisten auseinandersetzt. Nun befasst sich eine Sonderausstellung mit der "Euthanasie", der sogenannten Vernichtung "lebensunwerten Lebens". Für die Organisatorinnen ein wichtiges Anliegen – gerade jetzt, mitten in der Corona-Pandemie.