Annegret Schüle: Ansprache zur Preisverleihung des Museumspreises 2014
Annegret Schüle, Kuratorin des Erinnerungsortes Topf & Söhne
Verehrte Vorredner,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde des Erinnerungsortes,
in den nunmehr über zwölf Jahren, in denen ich mit der Geschichte von J. A. Topf & Söhne befasst bin, ist heute ein ganz herausragender Tag voller Stolz und Dankbarkeit. In seinem Wert steht dieser Tag für mich in einer Reihe mit der Eröffnung des Erinnerungsortes vor fast vier Jahren, am 27. Januar 2011. Die damalige Repräsentanz von Politik und Gesellschaft wie auch das überregionale Medienecho zeigten die Unterstützung und das Interesse. Auch heute sind unter uns Mandatsträger, Verantwortliche von Land und Stadt sowie zahlreiche Kooperationspartner, die ich alle herzlich begrüße.
Bei unserer Eröffnung vor fast vier Jahren war es noch ein Versprechen, das der Erfurter Stadtrat in seinem am 21. November 2007 einstimmig gefassten Beschluss so formulierte:
Durch den Erhalt des inzwischen massiv von Verwahrlosung und Verfall geprägten historischen Baus werden ein authentischer Ort und das ihm innewohnende, unersetzbare pädagogische Potential für die Auseinandersetzung mit den Fragen nach Arbeit, Technik und Verantwortung gerettet.
Dass wir dieses pädagogische Potential nicht nur gut, sondern "ausgezeichnet" in die pädagogische Praxis umgesetzt haben, erleben wir nicht nur in vielen Reaktionen unserer Besucherinnen und Besucher, sondern wird uns nun auch durch eine hochkarätige Jury ausgewiesener Museumsexperten bescheinigt.
Was bedeutet denn im Falle des Erinnerungsortes Topf & Söhne eine "museumspädagogische Konzeption"? Das Thema in unserem Haus ist "Auschwitz", nicht nur als Symbol, sondern als reale Geschichte. Auschwitz als Ort, in dem es "nicht Teufel und Menschen" gab, sondern "Menschen und Menschen", wie es Józef Szajna, ehemaliger polnischer Auschwitz- und Buchenwaldhäftling, einmal ausdrückte: Menschen, die das Lager wollten, errichteten und in Betrieb hielten, und Menschen, am Ende weit über eine Million, die dort umgebracht wurden.
In unserem Haus geht es nur vordergründig um eine Firma, wie es unzählige gab, entstanden aus dem Handwerk, erfolgreich in der Gründerzeit, als Familienunternehmen mit der Belegschaft und der Stadt eng verbunden. Hier geht es – exemplarisch belegt am Handeln der Unternehmer und Techniker von J. A. Topf & Söhne – darum, wie irritierend leicht normale Menschen unter bestimmten Voraussetzungen in ihrem üblichen Beruf und ihrem gewohnten Arbeitsumfeld ethische Grenzen der Verantwortung gegenüber anderen Menschen zu überschreiten in der Lage sind und dass individuelle moralische Vorprägungen keine verlässlichen Barrieren darstellen, um diese Grenzen zu respektieren.
Dieses Haus erzählt eine Geschichte, die heute zum großen Glück für uns sehr fern ist – und gleichzeitig auf eigentümliche Weise sehr nah, irritierend nah, wenn wir uns auf die Männer und Frauen, von deren Arbeit die Dokumente oben in der Dauerausstellung berichten, und auf ihre Motive einlassen.
Es passiert immer wieder, dass Kooperationspartner und Besucher resümieren, eine Veranstaltung oder ein Projekt mit uns habe Spaß gemacht und dann unsicher fragen, ob man an diesem Ort Spaß haben dürfe. Ja, auch uns macht es froh und zufrieden, dass gerade aus diesem unheilvollen Ort nun ein sensibler, aufmerksamer und produktiver Ort werden konnte im Engagement für die Bewahrung und – da, wo es notwendig ist - das Erstreiten der Menschenrechte. Ich spüre ein Gefühl des Triumphs, wenn ich tagtäglich erlebe, wie in den Räumen, in denen vor über 70 Jahren die Ingenieure Kurt Prüfer und Fritz Sander um den besten Ofen für das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau wetteiferten, heute Menschen genau dieses Geschehen reflektieren und über ihre eigene Verantwortung anderen Menschen gegenüber nachdenken und Projekte mit Jugendlichen, vielfältige Abendveranstaltungen, Zeitzeugenbegegnungen, wissenschaftliche Vorträge, Podiumsgespräche mit Experten, Filmvorführungen und thematische Konzerte stattfinden.
Das Problem besteht nicht nur in rechtsextremer Hetze und Brutalität, in Antisemitismus, Antiziganismus und Islamophobie als stärker werdende Positionen von Minderheiten. Es geht auch um die Gleichgültigkeit der Vielen und das Versagen von Gesellschaft und Staat im Kampf gegen Menschenverachtung und -vernichtung – wie mit den NSU-Morden auf schreckliche Weise exemplarisch sichtbar geworden.
Museumspädagogik an diesem Ort bedeutet Nachdenklichkeit befördern, über Handlungsmöglichkeiten aufklären und zum Engagement für eine demokratische, weltoffene und verantwortungsbewusste Gesellschaft ermutigen. Genau dafür werden wir das Preisgeld verwenden, für die Bildungsarbeit mit Schülern und einen weiteren Gruppenraum, der auch für Filmvorführungen und Gesprächsabende genutzt werden kann.
Als 2002 das Forschungsprojekt zu Topf & Söhne an der Gedenkstätte Buchenwald begann und daraus die Internationale Wanderausstellung wurde, hatten sich schon jahrelang Bürger ganz unterschiedlicher Herkunft mit großer Ausdauer für einem Lern- und Ausstellungsort auf dem seit 1996 verfallenden Firmengelände eingesetzt. Und dennoch war es in diesen Jahren genauso gut möglich, sogar wahrscheinlich, dass es diesen Erinnerungsort niemals geben würde. Dass es gelang, erscheint manchen heute noch wie ein Wunder. Und dass dieses so lange umstrittene Projekt nun noch mit dem Museumspreis gekrönt wird, lässt uns jubeln.
Es haben viele einen Anteil daran, dass die Stadt vom Bedenkenträger zum Projektträger wurde, und deshalb gehört der Preis auch all jenen, die sich in den letzten 20 Jahren für diesen Lern- und Ausstellungsort eingesetzt haben. Der Kreis reichte von jungen Besetzern auf dem Firmengelände bis zu ehemaligen Mitarbeitern von Topf & Söhne und der Nachfolgefirma Erfurter Mälzerei und Speicherbau - zwei von ihnen, Horst Scharnweber und Norbert Schneider, sind nicht mehr unter uns. Der heute anwesende Udo Braun, letzter Betriebsleiter von EMS, und seine Frau Karin haben uns wichtige Unterlagen übergeben. Von Anfang an zählte die Jüdische Landesgemeinde zu den Unterstützern, die heute durch den ehemaligen und den jetzigen Vorsitzenden, Wolfgang Nossen und Prof. Reinhard Schramm, vertreten ist. Dazu kamen Künstler wie die anwesende Yael Katz Ben Shalom aus Israel, Studierende der Bauhaus-Universität Weimar, die Leitung der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora unter Prof. Knigge, die Kollegen vom Hauptstaatsarchiv in Weimer, die Denkmalpflege in Stadt und Land, der evangelische Kirchenkreis, viele ehrenamtlich tätige Bürger im Förderkreis genauso wie Mandatsträger in Stadt, Land und Bund und viele andere, deren Namen ich hier leider nicht alle nennen kann. Stellvertretend für die Aktiven der ersten Stunde möchte ich Hartmut Topf begrüßen, der schon 1994 auf der ersten öffentlichen Veranstaltung zu Topf & Söhne in Erfurt gesprochen hat. Die Aktiven im Förderkreis, dessen Arbeit gar nicht genug gewürdigt werden kann, sind mir alle ans Herz gewachsen. Für die langjährige und fortdauernde Unterstützung durch die Gedenkstätte Buchenwald möchte ich allen Kollegen, von denen heute vier anwesend sind, herzlich danken.
Selbstbewusst muss ich sagen: Das ist nicht der erste Preis, den wir bekommen haben. 2011 erhielten wir gleich zwei Architekturpreise. Wir gewannen den "best architects" in Gold, eine Auszeichnung, die in jenem Jahr unter 300 Arbeiten aus dem deutschsprachigen Raum nur neun Mal vergeben wurde. Auch im Wettbewerb des Bundes Deutscher Architekten Thüringen "eins zu eins" ging ein erster Preis an den Erinnerungsort. Beim "Europäischen Farb-Design-Preis" wurde unsere Gestaltung mit einer Anerkennung ausgezeichnet. Wurden damals Architektur und Gestaltung gewürdigt, so geht es heute um unser inhaltliches Museumskonzept und seine didaktische Umsetzung. Dass die Auszeichnung diesmal von Historiker- und Museumskollegen kommt, freut mich besonders.
Wir haben große Pläne. Mit dem Projekt einer neuen internationalen Wanderausstellung "Industrie und Holocaust: Topf & Söhne – Die Ofenbauer von Auschwitz" möchte die Landeshauptstadt gemeinsam mit dem Land Thüringen dazu beitragen, dass die Auseinandersetzung mit der Verbrechensbeteiligung mitten in der damaligen deutschen Gesellschaft einen Platz in einer zukunftsweisenden europäischen und internationalen Erinnerungskultur erhält. Für dieses Projekt konnten wir die Unterstützung unserer Erfurter Bundestagsabgeordneten und der Kulturstaatsbeauftragten der Bundesregierung Frau Prof. Grütters gewinnen.
Der Erinnerungsort ist "ausgezeichnet", aber er ist noch nicht zukunftssicher, soweit ein solches Haus dies sein kann. Die Qualität unserer Ausstellungen und Bildungsangebote verdankt sich hoher Fachkompetenz und enger Verzahnung von Leitung, Wissenschaft und Pädagogik im kleinen Team der zwei Festangestellten. Hier ist zu hoffen, dass dies so bleiben wird. Eine Schwachstelle besteht darin, dass die Stadt in diesem Haus nur eingemietet ist. Auch wenn dies bisher weder der Gestaltung noch den Inhalten abträglich war, so ist es doch erstrebenswert, dass dieser historische Ort dem privaten Immobilienmarkt entzogen und unter den Schutz öffentlichen oder gemeinnützigen Eigentums gestellt wird.
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir als Gesellschaft, als Land und als Stadt die Chancen, die in der exemplarischen Auseinandersetzung mit Topf & Söhne liegen, brauchen. Ich freue mich, dass die Jury den Mut hatte, ein Museum auszuzeichnen, das einen solch schwierigen und lange Zeit kontrovers diskutierten Inhalt hat. Herzlichen Dank an die Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen, an die Museumsverbände in Thüringen und Hessen, an alle Jury-Mitgliedern und insbesondere an unseren Laudator.
Ich selbst bin dankbar, dass ich diese Arbeit machen kann – dankbar für die Erkenntnisse, die Begegnungen mit Überlebenden, die inhaltlichen Gestaltungschancen. Und ich bin dankbar für mein Team: Zu allererst ist die Gedenkstättenpädagogin Rebekka Schubert zu nennen. Sie hat einen Löwenanteil an der Arbeit mit unseren Besucherinnen und Besuchern und damit auch an diesem Preis. Danke an die wissenschaftliche Volontärin in diesem Jahr, Verena Bunkus, und im letzten Jahr, Mieke Hagenah, und die diesjährigen und letztjährigen Freiwilligen Sandra Rieger, Leonie Ader, Emily Wegener, Jana Sonnenburg und Jeanette Dötsch. Auch danke an all die Praktikanten und ehrenamtlichen Unterstützer der letzten Jahre, für die hier vorne gar nicht genug Platz wäre.
Danke an die jungen Musiker und ihre Lehrerin. Wir hören jetzt noch das hebräische Volkslied "Hava Nagila", und danach lädt Sie die Sparkassen-Kulturstiftung ein, auf den Preis anzustoßen, bei einem Imbiss ins Gespräch zu kommen und sich die Ausstellungen anzuschauen.