Thomas Wurzel: Ansprache zur Preisverleihung des Museumspreises 2014
Thomas Wurzel, Geschäftsführer der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen
Sehr geehrte Damen und Herren,
lieber Herr Dr. Rodekamp,
Der persönliche Ausflug in die Landschaft der Museen, deren Aufgabenstellung und dem sich wandelnden Verständnis der Museumsarbeit ist für mich sehr bemerkenswert gewesen und hat auch die Fahrt der Jury geprägt.
Wir haben mit dem Jury-Team unter meiner Knute insgesamt neun Häuser in Hessen und in Thüringen besucht und waren überrascht. Ich darf von diesen Reisen immer profitieren, weil ich dort bei sehr kompetenten Menschen der Jury lernen kann, die den Blick auf die Einrichtungen, die wir besuchen, werfen und ihre persönlichen Eindrücke, Interpretationen, aber rückgekoppelt an die Fachlichkeit, unmittelbar in der Diskussion zu erkennen geben. Ich darf sagen, die Bereisung, die wir in diesem Jahr durchgeführt haben, ist ein wesentliches Element der im Grunde zweistufigen Jurierung.
Wir haben es mit einer ganzen Reihe Häusern zu tun gehabt, in denen sich "Vermittlung" nicht mehr als eine einseitige Propaganda der Institution ausgibt, die weiß, dass sie das Richtige, das "Wahre, Schöne, Gute" beherrscht, sondern die weiß, wo sie hin will - wie auch dieses Haus hier - die das Ziel also definiert, aber von jedem fordert - mehr oder weniger begleitet - es sich selbst zu erarbeiten. Das ist die Aufgabe der Museumspädagogik. Dieser Weg führte uns an diesen Ort, ebenso wie in das Herzogliche Museum Gotha und in das Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim, das stark von Opel geprägt ist. Es konnten nicht alle Bewerbungen vor Ort besucht werden, weil wir auch nur beschränkt Preise vergeben. Gleichwohl: Auffällig war - dies als erstes Kompliment - Ihre exzellente Bewerbung. Mit Bewerbungen schriftlicher Art hat sich die Jury an einem Tag in Kassel im März vergangenen Jahres befasst und geschaut, wer denn für die Bereisung in Frage kommt. Wie macht man uns neugierig auf das, was wir hier sehen können? Dazu gehörte dieses aktengraue Gebäude in seiner Profanität, in seiner Einfachheit, das einfach gar nichts Besonderes erkennen lässt, wie diese furchtbaren Akten, zwischen deren Deckeln man nicht weiß, was sich darin verbirgt.
Dieses Haus hat diesen Museumspreis 2014 aus Sicht der Jury verdient. Aus dem Blickwinkel musealer Einrichtungen bedient es noch einen besonderen Aspekt, denn als "Erinnerungsort" ist es ein authentischer Ort, dessen größtes oder manchmal einziges Ausstellungsobjekt der Ort selber ist. Alles, was hier im dritten Stock zu sehen ist, ist im Grunde mit ganz wenigen Ausnahmen nicht im klassischen Sinne Museumssammlungsgut. An anderer Stelle haben wir, lieber Herr Dr. Rodekamp, vor Jahren noch diskutiert, als das Museum der Gedenkstätte Mittelbau-Dora den Museumspreis 2008 der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen als erste Gedenkstätte, als erster authentischer Ort bekommen hat. Wir haben damals noch sehr genau definiert, dass es im Grunde der museale Teil ist, der sich räumlich durch ein neues Gebäude zeigt, der den Preis erhält und eben nicht die Gesamtanlage. Das hat ein Stück weit auch mit einem fortgreifenden Verständnis und einer Aktualisierung von dem zu tun, was Museen zu leisten haben, womit sie sich aktiv in die Gesellschaft einbringen. Nicht nur der Reiter vor der Tür nach dem Motto "Kommt herein", wie es jedes Kaffee-Geschäft hat, sondern zu sagen, "Wir kommen auf euch zu, wir sind eine Einrichtung, die euch zum Denken bringt, und zwar so, dass ihr auch Freude am Denken habt, auch wenn die Themenstellung, die ihr hier findet, eine ganz schwierige ist, wie an diesem Ort".
Diese Aufgabe, dieses Hineingehen setzt Begleitung voraus, wie sie hier die Gedenkstättenpädagogin Frau Schubert leistet in einem rein mathematisch gesehen hervorragendem Verhältnis von Fachlichkeit und Vermittlungstätigkeit, nämlich 1:1. Leider sind das auch die absoluten Zahlen der festangestellten Mitarbeiter, nicht nur die Verhältnisse. Insofern greife ich auch das nochmal auf: Museen arbeiten nicht nur durch ihre Existenz, sondern durch die Menschen, die sie betreiben. Dieser Qualitätssprung ist und war hier zu spüren. Herr Dr. Rodekamp hat das überzeugend geschildert. Was heißt das für eine Institution, wie die Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen zum Beispiel, oder Herr Dorst, für die Sparkassen, die es uns als Stiftung ermöglichen, solche Preise auszuloben und dann, lieber Herr Schuchardt, gemeinsam mit den Museumsverbänden in Thüringen und in Hessen, auch umzusetzen, also zur Bewerbung zu animieren? Zu zeigen: Was können wir? Was sind wir? Was wollen wir? Wie verstehen wir uns und wo wollen wir hin?
Eine Ausstellung ist ein Medium von mehreren und wird ergänzt durch das, was Menschen konzipieren, beispielsweise Veranstaltungen. Sie regen zum Denken an und können ein Stück weit ein "Schuhanzieher" sein, um sich konkret an diesem Ort die Frage zu stellen: Wo koppele ich mich zurück? Was sind die ethischen und gesellschaftlichen Grundlagen meines Handelns? Was bedeutet es, wenn ich mich einspannen lasse, nicht über alles jeden Tag von neuem nachdenke? Was bedeutet das für mich, wenn ich mich bestimmen lasse? Diese Fragen kann nur jeder für sich in seinem Arbeitsprozess, in seinem Alltag, in der Meinungsbildung an den Stammtischen oder den Schreibtischen, an denen er sich bewegt, beantworten, aber: er muss sie sich stellen! So auch die Frage, was es gesellschaftlich heißt, eine bestimmte Form von Wirtschaft zu betreiben. Ich kann mich erinnern, dass es noch vor der Wiedervereinigung einen ersten Ansatz hierzu im Bereich der Kreditwirtschaft gab: Wir verkauften kein Krügerrand mehr, weil wir das Apartheidssystem Südafrikas nicht unterstützen wollten und es auffiel, dass Goldhandel etwas mit diesem zu tun hatte. Wir sind heute ein Stück weit weiter, auch wenn wir Stiftungskapitalien anlegen. Es stellt sich immer die Frage, ob wir damit so umgehen, dass die Gelder nicht zur Finanzierung falscher Dinge eingesetzt werden. Solche Fragen werden hier angesprochen und zeigen, dass wir im Alltag immer wieder damit konfrontiert werden und dass hier an diesem Ort eine der Grundlagen dafür gelegt werden kann. Frau Dr. Schüle, hier kann man lernen, wie man denken kann.
Dazu möchte ich Ihnen, Ihrem Team, Ihrem kleinen Team, ganz herzlich gratulieren. Die Entscheidung der Jury war nicht nur einvernehmlich, sondern auch eindeutig. Die Jury, und das darf ich vielleicht noch vorlesen, bestand aus Frau Dr. Katja Schneider, Beauftragte zur Reformations-Ausstellung von der Stiftung Luthergedenkstätten in Wittenberg; aus Prof. Dr. Bernhard Graf, Direktor des Instituts für Museumsforschung in Berlin bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz; Herrn Prof. Dr. Matthias Puhle aus Magdeburg, heute dort erster Beigeordneter, zwischendurch im Ministerium, aber er ist in die Jury hineingekommen als Mitveranstalter der großen Europaratsausstellungen zu Otto in Magdeburg; Dr. Volker Rodekamp hat sich selbst in bester Sitte vorgestellt, aus Leipzig kommend, langjähriger Präsident des DMB. Und dann »Danke« auch an die Vertreter der beiden Museumsverbände, Herr Schuchardt von der Wartburgstiftung und Präsident des Museumsverbands Thüringen, und Dr. Rolf Luhn, Geschäftsführer des Hessischen Museumsverbandes, weil derjenige, der vor Ihnen steht, gleichzeitig ehrenamtlicher Vorsitzender desselben ist. Ich hab die Doppelfunktion aber nur mit einem Platz eingenommen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich hoffe, dass Sie hier als Botschafter dieses Ortes heraus gehen: Er zeichnet den Weg, den jeder gehen sollte, um Erkenntnisse zu erreichen, den eigenen Möglichkeiten entsprechend. Keiner wird getrieben, aber auch keiner wird gezwungen, allzu langsam zu gehen. Das können Sie hier erleben.
Dieser Preis hat natürlich erstens, wie es sich gehört, eine Urkunde. Zweitens, wie es sich gehört, ein Schild. Und drittens, und das ist eine besondere Leistung, eine Selbstdarstellung dieses Hauses in der Reihe der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen: "Ausgezeichnet. Der Erinnerungsort Topf & Söhne - Die Ofenbauer von Auschwitz". Warum ist das etwas Besonderes? Dieser Preis ist, Frau Dr. Schüle, mit 25.000 Euro verbunden und mit der Möglichkeit, eine Broschüre als Selbstdarstellung vorzustellen. Sie haben Ende Juni erfahren, dass Sie den Preis bekommen. Mit ihm auch eine Aufgabe! Von Ende Juni, den Sommerferien - zumindest der Zeit, in der nicht immer alle da sind - bis zum heutigen Tag ist die Selbstdarstellung nicht nur druckfertig, sondern auch gedruckt. Sie alle können nachher ein Exemplar mitnehmen. Machen Sie Werbung für diesen Ort! Frau Dr. Schüle, die diese Broschüre gut kennt, weil sie sie selbst geschrieben hat mit ihrem Team, bekommt jetzt die Urkunde, deren Text ich verlesen darf und zu deren Überreichung ich Sie, Herr Oberbürgermeister Bausewein und Sie, Herr Minister Matschie, auch nach vorn bitten darf.
Der "Erinnerungsort Topf & Söhne - Die Ofenbauer von Auschwitz" erhält den Museumspreis 2014 der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen. Mit der Preisvergabe wird die klare und überzeugende museumspädagogische Konzeption am ehemaligen Produktionsstandort gewürdigt. Die Gesamtpräsentation und die Auswahl der ausgestellten Materialien zeigen auf eindrückliche Weise, dass trotz des im Unternehmen vorhandenen Wissens um die Verwendung der Öfen in Auschwitz ein produktionstechnischer Wettbewerb entstanden war, der Fragen der Ethik und Moral weitgehend ausgeblendet hat. Der Erinnerungsort Topf & Söhne überlässt die Beantwortung der Frage nach schuldhaftem Handeln und persönlicher Verantwortung den Besucherinnen und Besuchern und nimmt sie damit als mündige Bürger dieser Gesellschaft ernst. Er überzeugt zudem mit seiner umfassenden wissenschaftlichen Arbeit zur Thematik und die insbesondere an junge Menschen gerichteten Vermittlungsangebote. Der Museumspreis der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen ist mit einem Preisgeld von 25.000 Euro verbunden. Erfurt, 2. Dezember 2014.