Rede von Anja Schneider und Claudia Müller, Barrierefrei erinnern – Das Zentrum für Thüringen, zur Eröffnung der Ausstellung "Täter, Opfer, Zeugen. Die 'Euthanasie'-Verbrechen und der Prozess in Dresden 1947"
Sehr geehrte Damen und Herren,
seit ca. zwei Jahren gibt es das Projekt „Barrierefrei erinnern – Das Zentrum für Thüringen“ des Landesverbandes der Lebenshilfe Thüringen und der Lebenshilfe Erfurt. In Kooperation mit dem Erinnerungsort Topf & Söhne – Die Ofenbauer von Auschwitz und der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau Dora bieten wir Bildungsangebote für Menschen mit Beeinträchtigung und Menschen mit Sprachschwierigkeiten an.
Für die Sonderausstellung „Täter, Opfer, Zeugen. Die 'Euthanasie' - Verbrechen und der Prozess in Dresden 1947“ haben wir in den vergangenen Wochen eine Tandem-Führung mit Menschen mit Beeinträchtigung erarbeitet. Das heißt: Menschen mit und ohne Beeinträchtigung führen gemeinsam durch die Ausstellung. Dafür haben wir verschiedene Workshops veranstaltet.
Die Tandem-Führung zum Thema NS-„Euthanasie“ ist dabei in mehrfacher Hinsicht etwas Besonderes. Jene Guides, die mit uns gemeinsam durch die Ausstellung führen, wären in der Zeit des Nationalsozialismus höchstwahrscheinlich selbst Opfer der NS-„Euthanasie“ geworden. Sie sind heute diejenigen, die sich zum einen ganz aktiv mit dem Thema auseinandersetzen und zum anderen Besucher/-innen über dieses Thema der deutschen Geschichte informieren.
Unseren Tandem-Partnern ist es ein besonderes Anliegen, dass dies in der Ausstellung hier gezeigt wird und möglichst viele Interessierte erreicht. Gerne möchten wir Ihnen einige Aussagen unserer Guides – die heute leider nicht dabei sein können – weitergeben:
Herr Senf hat gesagt:
"Viele Sachen, die für uns normal sind, waren verboten."
Herr Grenz hat gesagt:
"Viele von uns wären einfach komplett durchgefallen.
Ich hätte nicht einfach mal wohin fahren können."
Frau Martin hat gesagt:
"Wenn wir in der Zeit gelebt hätten, dann hätten wir nicht mehr leben können.
In der früheren Zeit hätte ich kein Kind bekommen […] und nicht heiraten können.
Die Opfer sollen nicht in Vergessenheit geraten."
Sie erahnen wahrscheinlich, dass die Schulung mitunter emotionale Momente hatte, welche durch die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema, aber auch mit dem eigenen Leben hervorgerufen wurden. Menschen mit Beeinträchtigung und psychischen Erkrankungen führen heute ein möglichst selbstbestimmtes Leben. Sie erhalten – je nach Bedarf – Unterstützung und Begleitung. Dabei werden Angebote geschaffen, dass sie an der Gesellschaft gleichberechtigt teilhaben können. Was ist für sie wichtig für ein selbstbestimmtes Leben?
Dazu die Antworten unserer Guides:
Frau Martin hat gesagt:
"Einer Arbeit nachgehen können.
Eigenen Wohnraum, Familie, Freunde haben.
Freunde treffen.
Eigene Wege gehen, z. B. Einkaufen, Kino.
Mitreden über verschiedene Themen.
So anerkannt werden, wie wir sind.
Über Probleme offen miteinander reden."
Frau Schmohl hat gesagt:
"Sein Leben so weit wie möglich selbst in die Hand zu nehmen.
Sich frei bewegen.
Seine Hobbys ausüben.
Reisen.
Freunde treffen.
Einer Arbeit nachgehen."
Herr Senf hat gesagt:
"Soziale Sicherheit.
Ausgeglichenes Verhältnis von Arbeit und Freizeit."
Herr Senf wünscht sich:
"Mehr Alternativen zur Wahl von Arbeit."
Herr Grenz hat gesagt:
"Eigenen Wohnraum.
Freie Meinungsäußerung.
Freie Wahl des Ehepartners."
Das alles ist den Menschen mit Beeinträchtigung und psychischen Erkrankungen in der Zeit des Nationalsozialismus verwehrt worden. Ja, ihr Recht auf Leben wurde ihnen abgesprochen. Ihr Leben wurde als unwert eingestuft. Die Ausgrenzung aus der Gesellschaft endete mit Mord.
Mit den Tandem-Führungen durch die Ausstellung "Evas Apfelsuppe oder der Duft von Heimat. Eine Hommage an die Auschwitz-Überlebende Eva Fahidi-Pusztai" konnten wir wertvolle Erfahrungen sammeln. Wir sind vielen Menschen mit Beeinträchtigung begegnet, die sich sehr aufgeschlossen mit diesem Themenfeld der Geschichte auseinandersetzen wollen.
Die Persönlichkeiten unserer Guides wurden gestärkt.
Geschäftsführer/-innen, Lehrer/-innen, Mitarbeiter/-innen trauen unserer Zielgruppe, wie wir auch, zu, sich diesen „schweren“ Themen der Geschichte zu stellen.
Das alles stärkt uns in unserer Arbeit.
Ein ganz wichtiger Partner ist für uns hier der Erinnerungsort durch die fachliche Expertise.
Er ist ein Ort des Erinnerns und ein Ort der Begegnungen.
Das Erinnern ist an diesem Ort auf sehr anschauliche Weise möglich. Anhand einer Vielzahl von Dokumenten ist die Zusammenarbeit der Mitarbeiter/-innen der Firma Topf & Söhne mit der SS belegt.
Der Erinnerungsort bringt Menschen zusammen, um miteinander ist Gespräch zu kommen.
Wir als Mitarbeiterinnen im Projekt „Barrierefrei erinnern – Das Zentrum für Thüringen“ sind sehr dankbar für die Möglichkeit, Bildungsangebote entwickeln zu können, die sich an jene Menschen richten, die in ihrer Kommunikation auf eine einfache und Leichte Sprache angewiesen sind. Das sind Menschen mit Lernschwierigkeiten, mit Beeinträchtigungen und auch Menschen, die Deutsch lernen. Auch sie können sich hier begegnen und teilhaben. In der Führung wird in einfacher und Leichter Sprache gesprochen. Wir arbeiten sehr anschaulich.
Neben den Tandem-Führungen werden wir auch Workshops anbieten. Workshops werden hier vor Ort oder in den Einrichtungen (Schulen, Werkstätten für behinderte Menschen …) durchgeführt. So können wir sie auch im Hinblick auf den kommenden Herbst und Winter umsetzen.
Nach Beendigung der Ausstellung hier im Erinnerungsort wird der Ausstellungsteil "Wohin bringt ihr uns?" als Wanderausstellung in verschiedenen Orten in Thüringen, auch in Einrichtungen der Lebenshilfen, zu sehen sein. Begleitend dazu werden wir weiterhin Workshops und Führungen anbieten.