Thüringer Allgemeine: Schuld und Strafe
von Elena Rauch
Erfurt 1941 schrieb der Vater des 10-jährigen Lothar S. einen Brief an Landesanstalt im sächsischen Großschweidnitz. Darin erbat er Aufklärung der näheren Umstände des Todes seines Kindes, das dort am 18. Dezember 1940 an „Kreislaufversagen“ verstorben war. So jedenfalls wurde es der Familie mitgeteilt. Eine Antwort bekam er nie. Sein Sohn war eines der Opfer des Massenmordes an Menschen mit geistiger und körperlicher Behinderung, den die Nazis als „Euthanasie“ verschleierten.
Allein in Pirna-Sonnenschein starben zwischen Juni 1940 und August 1941 etwa 13.700 im Gas. Die Heil-Pflegeanstalt war zu einem von sechs Zentren des Mordes an behinderten Menschen geworden.
Es waren vor allem Anzeigen von Angehörigen, die 1947 zum Dresdner Euthanasie-Prozess führten. Einer der wichtigsten Verfahren dieser Art im Nachkriegsdeutschland, bei dem sich Ärzte, Pfleger und Schwestern aus Pirna-Sonnenschein verantworten mussten. Verlauf, die Begründungen, mit die Angeklagten versuchten, ihre Verbrechen zu rechtfertigen, und die Urteile haben die Gedenkstätten Pirna-Sonnenschein und Münchner Platz Dresden in einer Wanderausstellung dokumentiert, die ab 11. Juni am Erfurter Erinnerungsort „Topf & Söhne“ zu sehen ist.
Programmheft dokumentiert Verbrechen in leichter Sprache
Was natürlich keine Zufälligkeit ist. Sie muss in Korrespondenz mit der seit 2020 laufenden Ausstellung „Wohin bringt ihr uns?“ betrachtet werden, die Opfern der Euthanasie-Verbrechen aus Thüringen ein Gesicht gibt und von denen viele in Pirna-Sonnenschein ermordet wurden. Mit den Ausstellungen wolle man dem Gedenken an Opfer der NS-Verbrecher einen Raum geben, die in der historischen Aufarbeitung lange unterbelichtet blieben, erklärt die Leiterin des Erinnerungsortes Annegret Schüle.
Dazu gehört auch ein Angebot, das in der Erfurter Museumslandschaft ein Novum ist: Zur Ausstellungseröffnung wird ein Programmheft erscheinen, das die Dokumentation der Euthanasie-Verbrechen in leichter Sprache erklärt, es entstand in Zusammenarbeit mit der Lebenshilfe Thüringen. Der Landesverband hat in Kooperation mit dem Erinnerungsort und den Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora 2020 das Projekt „Barrierefrei erinnern – Das Zentrum für Thüringen“ gestartet.
Ein weiteres Ergebnis dieser Arbeit werden Führungen durch die Ausstellungen sein, die von Menschen mit Behinderung erarbeitet und angeboten werden. Lebenshilfe-Geschäftsführerin Katja Heinrich spricht von einer Ermunterung, sich mit auch mit diesem schweren Thema auseinanderzusetzen.
Vor dem Dresdner Gericht hatte sich der Direktor der Anstalt in Pirna-Sonnenschein Paul Nitsche gegen die Mordanklage verwahrt. Im März 1948 wurde der Arzt, der zum Massenmörder wurde, für seine Verbrechen hingerichtet. Insgesamt wurden beim Prozess von elf beantragten Todesstrafen vier ausgesprochen.
„Täter, Opfer, Zeugen. Die „Euthanasie“-Verbrechen und der Prozess in Dresden 1947“: bis 29. Januar 2023