Johanna und Theresa: Zeitungsinterview "An der richtigen Stelle"
Freiwilliges kulturelles Jahr am Erinnerungsort mit vielen Aufgaben und Erlebnissen
von Lydia Werner
Daberstedt. Studieren, gleich nach dem Abi, das kam für Johanna Pauline Heisig nicht in Frage. Sie wollte zuvor ein freiwilliges kulturelles Jahr absolvieren. Nicht in ihrer Heimatstadt Halle, sondern in Erfurt – und am liebsten im Erinnerungsort Topf & Söhne. Dort gehört die 19-Jährige inzwischen seit September zum Team.
Als langjähriges Mitglied im Ensemble der Schotte wollte die Erfurterin Theresa Jautsch (20) in eben diesem Jugendtheater ein freiwilliges Jahr leisten. Die Stelle sollte jedoch mit jemandem besetzt werden, der von außerhalb kommt. Sie wurde stattdessen von Annegret Schüle, Leiterin des Erinnerungsortes, zum Bewerbungsgespräch eingeladen, kam gut an und hat ihre Entscheidung für diese Stelle nie bereut.
Die Arbeit der beiden Freiwilligen im Sorbenweg ist sehr vielfältig. Die Technik von Veranstaltungen und Ausstellungen zu betreuen, den Saal für Besucher vorzubereiten und einzugreifen, wo helfende Hände gebraucht werden, ist wie die Büroarbeit eher Alltagsgeschäft. Eingefuchst haben sich beide schnell. "Es ist immer jemand da, den man fragen kann", sagt Johanna Heisig.
Mit ihr nehmen derzeit die Menschen ersten Kontakt auf, die Anfragen stellen, Termine erfahren, Führungen oder Workshops buchen wollen. In die Rolle einer Lektorin ist sie auch hineingerutscht. "Das Drehbuch für die aktuelle Sonderausstellung hat sie gegengelesen, so wie fast alle Dinge, die für die Veröffentlichung bestimmt sind“, sagt Annegret Schüle. Außerdem betreute Johanna Heisig fachlich den Aufbau einer Sonderausstellung, als die vom Erinnerungsort nach Meiningen weiterzog.
Ein langwieriges Projekt von Theresa Jautsch ist der Aufbau der Bibliothek. Rund 700 Bücher und Filme sind vorhanden und müssen vorbereitet werden. Als wissenschaftliche Fachbibliothek und offizielle Außenstelle der Stadt- und Regionalbibliothek sollen die Publikationen, die sich thematisch passend zum Erinnerungsort beispielsweise um Nationalsozialismus, jüdische Geschichte oder Erinnerungskultur drehen, öffentlich zugänglich werden. Eröffnet wird die Bibliothek am 27. September. Das freiwillige Jahr ist dann vorbei, doch Theresa Jautsch hat sich den Termin schon vorgemerkt.
Als Zeitzeugen für die Sonderausstellung "Entkommen?" befragt wurden, übernahm die 20-Jährige die Kameraführung bei den Videointerviews, die die Ausstellung nun bereichern.
Für ein solches Gespräch reiste sie mit einer Kollegin nach Hannover, um Rivkah Piork zu treffen, die als Kind mit ihren Eltern in Thüringen untertauchte, um der Deportation zu entgehen. Mit Überlebenden zu sprechen, gehört zu den berührendsten Momenten. "Die Begegnung mit Eva Pusztai war ein sehr schönes und einprägsames Erlebnis", schildert Theresa Jautsch. Und ziemlich aufgeregt war die junge Frau, als sie zur Gedenkveranstaltung am 27. Januar im Beisein der Familie Reinhardt Texte vortrug. "Solche Erlebnisse bestätigen mich darin, hier an der richtigen Stelle zu sein", sagt sie. Für Johanna Heisig sind es auch vor allem Gespräche mit Überlebenden, die sie in den Monaten ihrer Freiwilligenarbeit beeindruckt haben. "Das bleibt in Erinnerung", sagt sie. In den nächsten Tagen steht wieder eine solche Begegnung an: Zvi Aviram hat die Verfolgung durch Nazis im Versteck überlebt. Er wird am Donnerstag, 27. Juni, im Erinnerungsort Schülern von seinen Erlebnissen berichten.
Finanziell möglich macht das Sammeln von Freiwilligen-Erfahrungen im Erinnerungsort die Förderung der Sparkassen- Kulturstiftung. Alle Bewerbungen für Freiwillige im kulturellen Bereich laufen in Thüringen über die Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung.