Deborah und Jakob: Einblicke in unser FSJ

Anfang September 2024 sind unsere beiden neuen Freiwilligen Jakob und Deborah in ihr von der Landesvereinigung Kultureller Jugendbildung Thüringen e.V. getragenes FSJ Kultur gestartet. Dabei haben sich die beiden ganz bewusst für den Erinnerungsort Topf & Söhne – Die Ofenbauer von Auschwitz als Einsatzstelle entschieden, wie Jakob erzählt:
„Ich mache mein FSJ Kultur am Erinnerungsort, weil ich mich für Geschichte und Politik interessiere und gerne mit Menschen arbeite. Außerdem ist es mir wichtig, mich durch meine Arbeit für unsere Demokratie zu engagieren und Geschichtsrevisionisten jeder Couleur aktiv durch Bildungsarbeit etwas entgegenzuhalten.“
Die beiden Freiwilligen sind eine wichtige Stütze in unserer täglichen Gedenkstättenarbeit. Durch unsere vielfältigen Aufgabenfelder erhalten sie darüber hinaus einen praktischen Einblick in das Berufsleben, wie Deborah betont:
„Seit September mache ich hier mein Freiwilliges Jahr Kultur, um einen Beitrag zur Stärkung der Erinnerungskultur in Erfurt zu leisten, aber auch, um mich persönlich weiterzubilden und beruflich zu orientieren. Besonders gut gefallen mir unsere abwechslungsreichen Aufgaben von Büroarbeiten bis hin zur Vorbereitung und Hospitation bei Seminaren und Führungen, mit der Aussicht, vielleicht mal selber welche geben zu können.“
Die beiden Freiwilligen stärken das Team des Erinnerungsortes auf entscheidende Weise. Die finanzielle Förderung der Sparkassen Kulturstiftung Hessen-Thüringen sichert diese wichtigen Stellen ab.

Am 11. Oktober 2024 habe ich im Rahmen eines FSJ-Austausches zwischen den KZ-Gedenkstätten Mittelbau-Dora und Buchenwald, dem Erinnerungsort Topf & Söhne und der Gedenkstätte Andreasstraße die KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora besucht. Dort habe ich mich mit Freiwilligen aus den anderen Einsatzstellen getroffen, um die KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora kennenzulernen, aber auch, um mich mit ihnen über unser FSJ und unsere Erfahrungen auszutauschen. Die dortigen Freiwilligen führten uns über das Gelände, d.h. über den Appellplatz, an den ehemaligen Standorten der SS-Baracken vorbei und in die Stollenanlage, in denen die Häftlinge unter menschenunwürdigsten Bedingungen unter absolutem Mangel am Lebensnotwendigsten riesige Stollen in den Berg treiben und später auch in der Produktion der V1 und V2 (V steht hier jeweils für „Vergeltungswaffe“) arbeiten mussten. Für mich war es sehr eindrucksvoll, die schiere Größe des Stollensystems zu erleben und gleichzeitig durch Schilderungen der Freiwilligen und anhand von Zeitzeugenberichten zu erfahren, unter was für unmenschlichen Bedingungen Häftlinge unter Tage leben und arbeiten mussten und wie viele von ihnen daran zugrunde gingen. Außerdem führten uns die Freiwilligen zu dem Krematorium des KZ, was im Gegensatz zum KZ Buchenwald nicht offen an zentraler Stelle, sondern etwas versteckt im Wald liegt. Im Krematorium finden sich auch heute noch die Öfen der Berliner H. Kori GmbH, die mit Topf & Söhne bei den Geschäften mit der SS konkurrierte. Direkt neben dem Krematorium ist durch dunkle Steine ein Abhang gekennzeichnet, wo die SS die Asche der Toten achtlos verstreute – für mich ein weiteres verstörendes Zeichen, dass sich herkömmliche Moralvorstellungen damals ausschließlich auf die so definierte „Volksgemeinschaft“ bezogen.
Spannend war es außerdem, sich mit den anderen Freiwilligen über die verschiedenen Einsatzstellen auszutauschen und so zu verstehen, wie unterschiedlich sowohl die Einsatzstellen an sich, aber auch die Aufgabenbereiche der Freiwilligen sind. Zudem war es ermutigend, zu sehen, dass uns Gedenkstätten-Freiwillige ganz ähnliche Thematiken bewegen: Der Aufstieg der AfD und die Sorge vor Schmierereien und Einschüchterungen, aber auch die Frage, wie man in der täglichen Arbeit und in Führungen sinnvoll Bezüge zu aktuellen Geschehnissen herstellen kann, ohne dass damit die Shoah relativiert wird oder die Bezüge beliebig erscheinen. Danke an die Freiwilligen aus Mittelbau-Dora für die tolle Führung – ich bin gespannt auf den Gegenbesuch!
Jakob, FSJler am Erinnerungsort Topf & Söhne

Der Januar war für uns sehr spannend. Zuerst durfte ich, Jakob, dabei mithelfen, die neue Sonderausstellung VERFOLGEN UND AUFKLÄREN vom Haus der Wannsee-Konferenz abzuholen. Auch wenn mir dort leider wenig Zeit blieb, war es sehr interessant, die Gedenk- und Bildungsstätte und die dortige Ausstellung zu sehen. In den folgenden Tagen half ich, die alte Sonderausstellung MIRIAMS TAGEBUCH ab- und die neue Ausstellung aufzubauen. Das hat nicht nur viel Spaß gemacht, es war auch ein tolles Gefühl, eine Ausstellung wirklich eigenhändig aufgebaut zu haben.

Die Finissage der alten Sonderausstellung mit der Lesung der Schotte war für uns eine wirklich bereichernde Veranstaltung. Es war toll zu sehen, wie man durch eine Lesung ein so altes Tagebuch wieder lebendig werden lassen kann. Auch die Vernissage der neuen Sonderausstellung mit Prof. Dr. Lehnstaedt war ein tolles Erlebnis. Es war interessant zu hören, wie viel Arbeit, Ideen und Forschung in der neuen Ausstellung stecken. Besonders erschreckend war es für uns zu sehen, dass uns die meisten der 21 Pionierinnen und Pioniere der Holocaustforschung aus der Ausstellung bisher überhaupt nicht bekannt waren. Beeindruckend ist vor allem, dass einige von ihnen schon im Krieg unter ständiger Lebensgefahr Zeitzeugenberichte und Dokumente sammelten und somit den Grundstein für die heutige Holocaustforschung gelegt haben.

Die Gedenkstunde anlässlich des 80. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz am 27. Januar war insofern aufregend, als dass viele prominente Thüringer Persönlichkeiten gesprochen haben und auch zahlreiche Privatpersonen am Gedenken teilgenommen haben. Es war ermutigend, von allen Rednerinnen und Redner zu hören, wie wichtig ihnen das Gedenken und die Erinnerungsarbeit generell und hier am Erinnerungsort ist und wie deutlich sie sich zu ihrer Verantwortung für demokratische Werte in der Gegenwart bekennen.
Ende Januar besuchte Dr. Leon Weintraub, ein 99-jähriger Holocaust-Überlebender, den Erinnerungsort für eine Zeitzeugenbegegnung. Wir hatten im Vorfeld sein Buch „Die Versöhnung mit dem Bösen“ gelesen und ich, Deborah, durfte zu Beginn der Veranstaltung daraus vorlesen, anschließend berichtete er über seine Verfolgung, sein Leben nach 1945 und die gesellschaftliche Situation heute. Dass er in seinem hohen Alter 90 Minuten lang aufrecht stehen und kohärent über sein Leben erzählen konnte, ohne einmal den roten Faden zu verlieren, war für mich sehr beeindruckend. Auf die Frage aus dem Publikum, was sein Rezept für so ein gesundes, hohes Alter sei, antwortete er „Optimismus und Menschenliebe“.

Am Folgetag haben wir am Erinnerungsort ein lebensgeschichtliches Interview mit Leon Weintraub aufgenommen, welches bald auf der Website abgerufen werden kann. Später erzählte er, dass er circa 50-60 Fliegen besitzt und die passende jeden Morgen aussucht und blind binden kann. Er machte sie zu seinem Markenzeichen und legt viel Wert auf ein gepflegtes Erscheinungsbild, nachdem er jahrelang gestreifte Häftlingsjacken und zerschlissene Kleidung tragen musste.

Leon Weintraub empfand ein inneres Bedürfnis, nach dem Verlust seiner Familie, dem schmerzendem Hunger, der Entmenschlichung als Gynäkologe einen Beitrag für das Leben zu leisten. Er entwickelte eine tiefgreifende Allergie gegen jede herabwürdigende Hierarchie, ein Einteilen in ein „Wir“ und „Sie“, weil er die Folgen dieses Narrativs am eigenen Körper zu spüren bekommen hat. Seinen Blick auf aktuelle Entwicklungen (siehe z. B. sein Brief an Friedrich Merz) sollten wir uns zu Herzen nehmen.
Wir sind sehr dankbar für die Erfahrung, Leon Weintraub als aufmerksamen und auch lustigen Mensch kennengelernt zu haben. Mir, Deborah, war es vor allem wichtig, ihn nicht bloß als Ex-Lagerhäftling zu sehen und alleine auf seine KZ-Erfahrungen zu schauen, obwohl das natürlich der Fokus in seinem Vortrag und seinem Bezug zum Erinnerungsort darstellt. Er ist so viel mehr ist als das, sein Leben bietet so viele interessante Einblicke und Perspektiven auf die Welt, die uns ein Vorbild sein sollen.
Deborah und Jakob, Freiwillige im FSJ Kultur am Erinnerungsort Topf & Söhne