Vor 75 Jahren: Das Kriegsende in der Firma J. A. Topf & Söhne

08.05.2020 08:00

Vor 75 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Nachdem die US-Armee das Logo der Firma J. A. Topf & Söhne auf den Ofentüren und Lüftungsklappen im KZ Buchenwald entdeckt hatte, startete sie Ermittlungen gegen das Erfurter Unternehmen. Die Geschäftsführer jedoch waren sich keiner Schuld bewusst.

Foto: Die Brüder Ernst Wolfgang (links) und Ludwig Topf Foto: © Stadtverwaltung Erfurt

Es ist heute kaum vorstellbar, dass die Brüder Ludwig und Ernst Wolfgang Topf – die Geschäftsführer und Inhaber von J. A. Topf & Söhne – selbst in den letzten Kriegswochen nicht bereit waren, ihre Zusammenarbeit mit der SS einzustellen. Am 27. Januar 1945 war das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau von der Roten Armee befreit worden. Noch im Februar arbeiteten die Brüder mit am Aufbau eines neuen großen Vernichtungszentrums in der Nähe des österreichischen Konzentrationslagers Mauthausen. Teile der zuvor in den Großkrematorien von Auschwitz-Birkenau abgebauten Öfen und der Gaskammer-Lüftungstechnik aus Erfurt sollten dort Verwendung finden, um weiter Menschen in großer Zahl mit Gas ermorden und ihren Leichen beseitigen zu können.

Am 11. April erreichten amerikanische Truppen das Konzentrationslager Buchenwald und einen Tag später marschierten die Soldaten in Erfurt ein. Auf den Ofentüren und Lüftungsklappen im Krematorium des KZ Buchenwald gut zu erkennen wies das Firmenzeichen von Topf & Söhne die US-Armee auf das Unternehmen hin. Das Counter Intelligence Corps (CIC), die Spionage- und Sabotage-Abwehr, ermittelte daraufhin im Betrieb und beschlagnahmte Unterlagen. Die Geschäftsführer jedoch waren sich keiner Schuld bewusst. Die zuvor offen praktizierte und initiativreiche Zusammenarbeit mit der SS wurde zu einer harmlosen Geschäftsbeziehung ohne jedes Überschreiten ethischer Grenzen umgedeutet. Ernst Wolfgang Topf betonte gegen besseres Wissen, bei den Öfen für die Lager habe es sich um legale und nach Pietätsvorgaben konstruierte Feuerbestattungsanlagen gehandelt. Diese Öfen entsprachen jedoch keinesfalls den gesetzlichen Vorgaben. Ähnlich wie bei Kadaververbrennungsöfen zielten sie allein auf die schnelle und brennstoffarme Vernichtung der Leichname ab.

Foto: Auszüge aus dem Protokoll der Betriebsratssitzung am 27. April 1945, hier in der Dauerausstellung "Techniker der 'Endlösung'" zu sehen Foto: © Stadtverwaltung Erfurt

Am 27. April wurden die Ofenlieferungen an die Lager-SS zum Thema einer Besprechung zwischen Ludwig Topf und dem Betriebsrat. Dieser setzte sich aus Männern zusammen, die während der NS-Zeit einer illegalen kommunistischen Widerstandsgruppe im Betrieb angehört hatten. Ludwig Topf stellte die Geschäftsbeziehungen zu den Lagern als unverdächtig dar. Andere Firmen wie das Berliner Unternehmen Kori hätte ebenfalls Öfen geliefert. Weiterhin rechtfertigte er die erste Lieferung nach Buchenwald mit "hygienischen Erfordernissen" nach dem Ausbruch einer Epidemie. Die weiteren Bestellungen hätten sich dann daraus ergeben. Tatsächlich wütete im Winter 1939/40 im Polen-Sonderlager die Ruhr und kostete in wenigen Monaten 800 Menschen, mehrheitlich Juden aus Österreich und Polen, das Leben – das erste große Massensterben in einem deutschen Konzentrationslager. Die Leichenverbrennung im Lager wurde "erforderlich", weil die SS die Menschen umkommen lassen wollte oder umbrachte. Unter dem von ihr selbst geschaffenen Handlungsdruck ließ die Lagerleitung dann ein Krematorium errichten, ausgestattet mit Öfen der Firma Topf & Söhne.

Das Besprechungsprotokoll der Sitzung macht klar, dass der Betriebsrat Ludwig Topfs Erklärung folgte und die Rechtfertigung der KZ-Geschäfte mittrug. Sicher ist, dass das Betriebsratsmitglied Heinrich Messing vor 1945 in den Krematorien von Auschwitz eingesetzt war. Für die anderen Kommunisten kann vermutet werden, dass sie zu Mitwissern gehörten.

Fünf Wochen nach der Besprechung mit dem Betriebsrat beging Ludwig Topf am frühen Morgen des 31. Mai im Alter von 41 Jahren Selbstmord. Am Abend zuvor war er von amerikanischen Offizieren aufgesucht worden, die ihn über seine bevorstehende Verhaftung informierten. Ludwig Topf hatte die Verhandlungen mit der SS geleitet, ihm hatten die Ingenieure und Monteure nach ihrer Arbeit in den Konzentrationslagern Bericht erstattet. Dieser Mann präsentierte sich nun in seinem Abschiedsbrief als Unschuldiger, dem mit seiner Verhaftung "schlimmstes Unrecht" drohte. Verantwortung für seine Taten im Nationalsozialismus zu übernehmen, lag völlig außerhalb seines Denkhorizontes.

Trotz der bevorstehenden Verhaftung hätte Ludwig Topf wohl keine strafrechtliche Verfolgung befürchten müssen. Kurt Prüfer, Ingenieur der Öfen, wurde nach seiner Verhaftung Ende Mai 1945 am 13. Juni wieder entlassen und kehrte an seinen Arbeitsplatz zurück. Die US-amerikanischen Ermittlungen wurden eingestellt.

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