Spuren sichern – Erinnerung – Leugnen

Um die Spuren der Verbrechen zu verwischen, sprengte die SS im Januar 1945 die Krematorien von Auschwitz-Birkenau. Aber die Trümmer blieben und bezeugten den Massenmord. Die Überreste der Krematorien wurden schon bald symbolisch zu Grabmalen und Gedenksteinen. Sie geben der Erinnerung Anschaulichkeit und Halt. Die Firmenleitung von Topf & Söhne sowie die beteiligten Mitarbeiter stritten jede eigene Schuld und Mitverantwortung an den Verbrechen ab. Die SS wurde als allein schuldig dargestellt; im DDR-Folgebetrieb versuchte man, jede Mitverantwortung auf die kapitalistischen Firmeneigentümer abzuwälzen.

Foto: Blick in die Dauerausstellung „Techniker der ‚Endlösung‛‟ im historischen Flur Foto: © Stadtverwaltung Erfurt, Kastner Pichler Architekten

Spurenbeseitigung und Spurensuche in Auschwitz

Foto: Ofenteile aus den Trümmern der Krematorien von Auschwitz Foto: © Stadtverwaltung Erfurt

Bereits ab Sommer 1944 bemühte sich die SS, alle Beweise für das Morden in Auschwitz zu beseitigen. Sie brachte Zeugen, wie beispielsweise Häftlinge der Sonderkommandos, um, vernichtete Akten und ließ Gruben, in denen Leichen verbrannt oder Asche und Knochenreste verscharrt worden waren, von Häftlingen zuschütten und die Flächen bepflanzen. Am 20. Januar 1945 sprengte sie die Krematorien II und III. Das Krematorium IV, das beim Aufstand des Sonderkommandos teilweise eingestürzt war, war bereits Mitte Oktober 1944 abgetragen worden. Im Krematorium V führte die SS bis zum Ende Exekutionen durch und verbrannte Leichen. Erst einen Tag vor der Befreiung des Lagers wurde es ebenfalls gesprengt.
Am 27. Januar 1945 erreichten Soldaten der Roten Armee Auschwitz. In Depots, die nicht mehr hatten zerstört werden können, fanden die Befreier Indizien für den Massenmord: Unmengen von Kleidung, Schuhen, Prothesen, Haaren sowie weitere Gegenstände, die den Opfern geraubt worden waren. Die Trümmer der Krematorien von Auschwitz wurden zum Gegenstand erster Ermittlungen. Überlebende Häftlinge erläuterten Mitgliedern einer sowjetischen und einer polnischen Untersuchungskommission die Funktionsweise der Vernichtungsanlagen. Beide Kommissionen werteten auch aufgefundene Akten aus.

Bereits Anfang Mai 1945 legte die sowjetische Untersuchungskommission ihren Abschlussbericht vor. Kurt Prüfer war darin als Vertreter der Firma Topf & Söhne ganz oben auf einer Liste von insgesamt 50 Personen aufgeführt, die hart bestraft werden sollten.

Zwischen Erinnern und Leugnen

Foto: Ehemaliges Krematorium in der Gedenkstätte Buchenwald Foto: © Stadtverwaltung Erfurt, Sammlung Gedenkstätte Buchenwald

Heute sind die ehemaligen Lagerkrematorien bzw. ihre Überreste zentrale Orte der Trauer und des Gedenkens. Symbolisch stehen sie für die nicht vorhandenen Gräber der unzähligen Opfer. Hier legen Nachkommen und andere Besucher Steine, Blumen oder Kränze nieder.

Zugleich sind sie auch Beweise für die Vernichtung. Leugner der NS-Verbrechen haben hingegen immer wieder behauptet, dass es keine Gaskammern gegeben und Massenmorde, insbesondere der Holocaust, nicht stattgefunden habe. Sie bestreiten die Funktion der Krematorien als Vernichtungsanlagen und stellen in Frage, dass es technisch möglich gewesen ist, dort so viele Menschen zu töten und zu verbrennen.

Erste Recherchen zu Topf & Söhne

Grafik: Jean-Claude Pressac: Auschwitz: Technique and operation of the gas chambers, 1989 Grafik: © Stadtverwaltung Erfurt

Die nationalsozialistischen Verbrechen lassen sich an Hand vieler Quellen beweisen. Die Quellen zur Baugeschichte und Technik der Krematorien als Vernichtungsanlagen blieben dabei lange unbeachtet. Erst in den 80er Jahren begannen Forschungen dazu. Damit wurde auch die Beteiligung von Topf & Söhne an den Verbrechen der SS mehr und mehr zum Thema. Jean-Claude Pressac, Apotheker und ursprünglich Holocaust-Leugner aus Paris, beschäftigte sich als einer der Ersten mit den Akten der Zentralbauleitung von Auschwitz und den technischen Details der Krematorien. Aufgrund seiner Untersuchung kam er zu dem Schluss, dass der Massenmord in den Krematorien von Auschwitz-Birkenau sowohl möglich war als auch stattgefunden hat.

Pressac suchte auch nach dem Firmenarchiv von Topf & Söhne, an dem vor Ort in Erfurt in dieser Zeit kein Interesse bestand. Nach seiner Auskunft überließ ihm die Geschäftsleitung des in der DDR weiter geführten und inzwischen privatisierten Betriebs die Unterlagen. Erst nach Pressacs Tod im Jahr 2004 sorgten Freunde und Angehörige dafür, dass die Archivalien nach Deutschland zurückkehrten und vom Thüringischen Hauptstaatsarchiv in Weimar übernommen werden konnten. Die nun zugänglichen Dokumente stellen die Forschungen zu Topf & Söhne auf ein neues Fundament.

Vier Ingenieure in sowjetischer Haft

Wie üblich waren auch an den von Topf & Söhne installierten Verbrennungsöfen Firmenschilder angebracht. Nach der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald am 11. April 1945 brachten diese Schilder amerikanische Ermittler auf die Spur und führten sie nach Erfurt.

Sie verhafteten Kurt Prüfer. Bereits zwei Wochen später wurde er jedoch wieder freigelassen und setzte seine Arbeit bei Topf & Söhne fort. Im Juli 1945 übernahm die sowjetische Besatzungsmacht Thüringen. Im März 1946 verhafteten sowjetische Offiziere vier leitende Angestellte von Topf & Söhne, nämlich Kurt Prüfer, Gustav Braun, Fritz Sander und Karl Schultze. Prüfer, dessen zentrale Rolle bei der Entstehung der „Todesfabriken“ schon im Mai 1945 durch die sowjetische Untersuchungskommission in Auschwitz festgestellt worden war, wurde in Berlin und Moskau verhört. Dabei konfrontierte man ihn mit Aussagen von ehemaligen Häftlingen und den in Auschwitz gefundenen Dokumenten.
Kurt Prüfer bestritt nicht, was er getan hatte, ließ aber kein Schuldbewusstsein erkennen:

Frage: Wussten sie selbst, für welchen Zweck die Firma Krematorien und Gaskammern in den Konzentrationslagern baute?
Antwort: Bis 1943* wusste ich nichts über den wahren Zweck der Krematorien in den Konzentrationslagern; davon erfuhr ich erst, nachdem ich in das Konzentrationslager Auschwitz gereist war. Davor hatten die Vertreter der SS-Bauleitungen, die die Verhandlungen mit der Firma „TOPF“ führten, immer erklärt, dass die Krematorien in den Konzentrationslagern für die Verbrennung von Leichen jener Häftlinge gebaut werden, die einen natürlichen Tod infolge von epidemischen Krankheiten gestorben waren. [...] Gleichzeitig möchte ich betonen, dass die Firma „TOPF“ keine Gaskammern in Konzentrationslagern gebaut hat. Mir ist nur bekannt, dass von der Firma „TOPF“ im Konzentrationslager Auschwitz zwei Lüftungsanlagen für die Gaskammern montiert wurden.
Frage: Was konkret haben Sie über den wahren Zweck der Krematorien und Gaskammern im Konzentrationslager Auschwitz erfahren, als sie dieses Lager 1943 besucht haben?
Antwort: Während meines Besuches im Konzentrationslager Auschwitz 1943 habe ich erfahren, dass im Lager eine Massenvernichtung von Menschen, darunter Frauen, Kinder und Greisen, stattfindet. [...] Die nach Auschwitz gebrachten Häftlinge wurden von den SS-Leuten in die Gaskammer geschickt, wo sie getötet wurden; ihre Leichen wurden dann in Krematorien sowie an speziellen Feuerstellen verbrannt.
Frage: Das heißt, während Sie an dem Bau von Krematorienöfen für das Konzentrationslager Auschwitz gearbeitet haben, wussten sie bereits, dass diese zur Vernichtung unschuldiger Menschen bestimmt sind?
Antwort: Ja, das wusste ich.


* Kurt Prüfer erfuhr bereits im Frühjahr 1942 von den Gasmorden in Auschwitz.
Vernehmungsprotokoll, 11. 2. 1948 in Moskau (Abschrift).
Zentralarchiv des FSB (Russischer Geheimdienst) in Moskau

1948 wurde er wegen Beihilfe an „Verbrechen an der Zivilbevölkerung und gefangenen Rotarmisten“ zu 25 Jahren Straflager verurteilt. Nach sowjetischen Angaben starb er im Oktober 1952 an einem Schlaganfall. Fritz Sander war bereits wenige Wochen nach der Verhaftung an Herzschwäche verstorben. Wie Prüfer wurden auch Gustav Braun und Karl Schultze zu 25 Jahren Straflager verurteilt. Sie kamen 1955 frei.

Ludwig Topf macht sich zum Opfer

Die Festnahme Kurt Prüfers am 30. Mai 1945 durch amerikanische Ermittler ließ Ludwig Topf befürchten, selbst in Haft genommen zu werden. Deshalb beschloss er noch am selben Abend, Selbstmord zu begehen. In einem Abschiedsbrief stilisierte er sich zu einer unschuldigen und zu Unrecht verfolgten Person. Er enterbte seinen Bruder Ernst-Wolfgang und seine Schwester Hanna, von denen er sich im Stich gelassen fühlte. Am Morgen des 31. Mai 1945 nahm sich Ludwig Topf im Alter von 41 Jahren mit Gift das Leben.

Abschiedsbrief von Ludwig Topf, 30. Mai 1945
(Auszug, Unterstreichung im Original)

Wenn ich den Entschluss getroffen habe, einer Verhaftung aus dem Wege zu gehen, so aus folgendem Grunde: Ich glaube an kein Recht auf dieser Welt mehr, nachdem meine Familie auch als letzte soviel Unrecht und Gemeinheit an mir begangen hat. Werde ich verhaftet, so wird man mir schlimmstes Unrecht antun. Ich tat bewusst und absichtlich niemals Böses, aber man tat es mir. Feige war ich nie – aber stolz. Mich auf Gnade oder Ungnade einem fremden Land zu übergeben, ist für mich undurchführbar, weil ich bitter gelernt habe, dass es kein Recht, keine Anständigkeit auf dieser Welt mehr gibt. Daher steht mir als Anständiger heute gerade noch die Gelegenheit offen, über mich selber nach meinem Ermessen zu verfügen. Das heißt nun sofort aus der Welt scheiden, die im Allgemeinen unerträglich geworden und im Besonderen mich verfolgte und mir Unrecht tat. Wäre der Glaube, dass meine Unschuld an den Krematorien (die auch meines Bruders gleiche Unschuld ist) erkannt und gewürdigt würde bei mir da, würde ich wie immer bisher kämpfen um die Rechtfertigung – aber ich glaube das Volk will seine Opfer haben. Dann will ich es schon selber tun. Ich war anständig stets – das Gegenteil von einem Nazi – das weiß alle Welt. Wenn ich noch im Schoße einer Familie mich ruhig fühlen könnte, lohnte sich der Kampf – aber so gibt es keine Familie Topf mehr, die Haltung, Kern und ein Bewusstsein ihrer selbst hat. Ich war in diesen Sparten ihr einsamer Vertreter. Ich brauche, so allein bin ich, nicht mal wegen eines Selbstmordes jemanden um Verzeihung zu bitten.

Ernst Wolfgang Topf im Westen

Foto: Ernst Wolfgang Topf, 1962 Foto: © Stadtverwaltung Erfurt, Privatarchiv Dieter Lux

Ernst Wolfgang Topf, der vor dem Besatzungswechsel im Juni 1945 in den Westen gereist war, erhielt von den sowjetischen Behörden keine Erlaubnis zur Rückkehr. Er versuchte, die Firma Topf & Söhne in Wiesbaden neu aufzubauen. Im Gegensatz zum Erfurter Unternehmen sollte der Schwerpunkt jetzt aber ganz auf dem Bau von Krematoriums- und Abfallvernichtungsöfen liegen. Hier sah Ernst Wolfgang Topf offenbar die größten Erfolgschancen.

Ernst Wolfgang Topf wurde jedoch von der Vergangenheit eingeholt. 1957 veröffentlichte der Journalist Reimund Schnabel sein Buch „Macht ohne Moral. Eine Dokumentation über die SS“. Darin waren zwei Schreiben von Topf & Söhne abgedruckt, die die Geschäfte mit der SS belegten. Ernst Wolfgang Topf antwortete darauf mit einer mehrseitigen Entgegnung, in der er die Echtheit der Dokumente bestritt und behauptete, „dass in unserem Hause weder moralisch noch sachlich jemand schuldig geworden war. Es ist keine Phrase, wenn ich mein Haus und sein gesamtes Verhalten in den 12 Jahren des Hitlerreiches mit den Worten kennzeichne: ‚Moral ohne Macht’.“ Er blieb lebenslang bei seiner Auffassung, die Produkte von Topf & Söhne wären auf nicht vorhersehbare Weise missbraucht worden und hielt an seiner Vorstellung von den „unschuldigen Öfen“ fest (siehe Abb. 2).

Von Anfang an hatte Ernst Wolfgang Topf Schwierigkeiten, seine wieder gegründete Firma aufzubauen. Die Veröffentlichung der beiden Dokumente durch Reimund Schnabel trug dazu bei, dass es ihm nicht gelang, sie wirtschaftlich zu stabilisieren.

Gerichtlich belangt wurde Ernst Wolfgang Topf nie. Ein Spruchkammerverfahren zur Entnazifizierung blieb ohne Ergebnis, ebenso ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Wiesbaden wegen Beihilfe zum Mord.

Obwohl sich Ernst Wolfgang Topf zuletzt auf den Entwurf und Bau von technisch anspruchslosen Abfallvernichtungsöfen spezialisierte, ging sein Unternehmen 1963 in Konkurs. Am 23. Februar 1979 starb Ernst Wolfgang Topf im Alter von 74 Jahren in Brilon.

Topf & Söhne in der DDR

Als die Firma Topf & Söhne nach der Befreiung des KZ Buchenwald unter Verdacht geraten war, reagierte die Firmenleitung schnell. Bereits am 27. April 1945 traf sich Ludwig Topf mit dem Betriebsrat, um eine gemeinsame Sprachregelung in Bezug auf die KZ-Geschäfte festzulegen. Er begründete dies damit, dass es durchaus möglich wäre, „dass auch Sie in dieser Angelegenheit einmal gefragt werden“. Als Rechtfertigungslinie gab er vor, die Geschäftsbeziehung mit der SS sei eine ganz normale gewesen und in die Konzentrationslager habe man nichts anderes als handelsübliche Krematoriumsöfen geliefert. Zudem habe man nur auf Befehl gehandelt und trotzdem noch Schlimmeres verhütet, nämlich Epidemien verhindert. Der Betriebsrat war gleicher Auffassung und sah deshalb auch keinen Grund zur Besorgnis (siehe Abb. 1).

Sanders Patentanmeldung für den „kontinuierlich arbeitenden Leichen-Verbrennungsofen für Massenbetrieb“ wurde sogar noch Ende November 1945 in einer Liste der Patente und Patentanmeldungen geführt, die der Betrieb zur Bezifferung seines Vermögens an die „Thüringische Verwaltungsstelle Erfurt“ gab (siehe Abb. 2).

Nach kurzer Stilllegung durfte der Betrieb bereits im Juni 1945 wieder Anlagen für die Lebensmittelindustrie produzieren. Nach Einrücken der Roten Armee im Juli 1945 stellte man auf Feldküchen und andere Reparationsgüter um. Als „herrenlos“ eingestuft, wurde Topf & Söhne 1947 enteignet. Bereits in den 50er Jahren ging der Bau von Krematoriumsöfen an einen volkseigenen Betrieb (VEB) in Zwickau über.

Sofern man sich in der DDR überhaupt für die Geschichte von Topf & Söhne – nun VEB Erfurter Mälzerei- und Speicherbau – interessierte, sind Schuld und Verantwortung auf die kapitalistischen Eigentümer abgewälzt worden. Trotz des antifaschistischen Selbstverständnisses der DDR blieb die Geschichte bis 1990 unaufgearbeitet.

Das ehemalige Firmengelände und seine Zukunft

Foto: Ehemalige Montagehalle, 2005 Foto: © Peter Hansen

Obwohl sich mittlerweile Bürgerinnen und Bürger aus Erfurt sowie Mitglieder der Familie Topf dafür engagieren, die Gebäude als Ort konkreter Erinnerung und Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zu erhalten, verwahrloste und verfiel das Betriebsgelände.

Offensichtlich fehlte es in der Stadt noch an ausreichendem Bewusstsein für die Bedeutung dieses Kapitels ihrer Geschichte. Ende 2003 sind wichtige Teile der Industriebrache wegen ihrer historischen Bedeutung unter Denkmalschutz gestellt worden.