Wir sind Ruanda
Eine Ausstellung von Tom Baerwald und Andrea Jeska
Der Genozid des Jahres 1994 hat das kleine ostafrikanische Land Ruanda menschlich, zivilisatorisch und wirtschaftlich zerstört. Nach drei Monaten des Massenmordens mit einer Million Toten standen die Aussichten, aus dem Dunkel wieder an das Licht zu kommen, damals schlecht.
Ruanda ist ein kleiner Staat, umschlossen von Land, ohne nennenswerte Rohstoffe oder Industrie, mit einer extrem hohen Bevölkerungsdichte. 1994 war die Gesellschaft gespalten in Opfer und Täter, in Überlebende und in Mörder. Wie also weiter gehen? Wie Gerechtigkeit bringen, damit die Wunden heilen, die Menschen wieder ein Volk werden können? Wie die Verzweifelten trösten, die Morde sühnen, die Verantwortlichen verurteilen? Wie, wenn das ganze Land ein Leichenfeld ist und seine Bewohner zutiefst traumatisiert sind?
20 Jahre später hat Ruanda bewiesen, dass das scheinbar Unmögliche geschehen kann. Politisch zwar nicht unumstritten, ist das Land heute stabil und friedlich. Der ruandische Präsident Paul Kagame gilt seinem Volk als verlässliche Leitfigur und es ist ihm mit einer historisch beispiellosen Versöhnungskampagne gelungen, Täter und Opfer zusammenzuführen. Hunderte von Organisationen haben sich an dieser Kampagne beteiligt und dafür gesorgt, dass Vergebung und Reue nicht nur leere Begriffe bleiben. Die einstigen Mörder und die einstigen Überlebenden betreiben heute zum Teil gemeinsame Projekte, teilen sich die Arbeit auf einem Feld, haben zusammen Häuser gebaut oder hüten gemeinsam Vieh. Vielleicht sind die Ruander in ihrem tiefsten Herzen heute noch kein versöhntes Volk, aber sie sind auf dem richtigen Weg.
Hinzu kommt, dass Ruanda wirtschaftlich stabil ist und eine hohe Wachstumsrate hat. Dazu tragen zwar ausländische Investitionen und Budgethilfen für die Regierung in nicht unerheblichem Maße bei, doch Ruandas Zukunftsvision Vision 2020 hat ehrgeizige Ziele, von denen viele bereits umgesetzt wurden. Ruanda will Drehpunkt im Bereich Technologie, Immobilien und Bankenwesen werden, eine Art Mittelpunkt in Ostafrika für unternehmerische Tätigkeiten. Dafür schafft es einen legalen Rahmen, wie er in den umliegenden Ländern für Unternehmer nicht vorzufinden ist. Kigali, die Hauptstadt, ist im Zuge dieser Pläne von einem erweiterten Dorf innerhalb von 20 Jahren zu einer modernen Großstadt herangewachsen und will in der weiteren Entwicklung ökologische Maßstäbe und Prinzipien der Nachhaltigkeit beachten.
Doch nicht nur auf der politischen und wirtschaftlichen Ebene hat sich Ruanda aus der Asche erhoben. Zerstört war vor 20 Jahren auch das, was Ruanda in der Vergangenheit ausgemacht hat: Das Vertrauen in die eigene Historie und das Bewusstsein der eigenen Zivilisation. Um den Problemen der Gegenwart Herr zu werden, wurden viele alte Traditionen wieder belebt. Zum Beispiel die traditionelle Rechtsprechung oder die Einbeziehung von Mediatoren und Vermittlern. So konnte die zutiefst gespaltene Gesellschaft daran erinnert werden, dass sie einst eine Gemeinschaft war und es wurde eine ganz authentische Art gefunden, das Land wieder aufzubauen.
20 Jahre nach den Massakern haben die Menschen neue Hoffnung. Was sie auch eint, ist das Versprechen einer Zukunft, die heller sein wird als es die Vergangenheit seit vielen Generationen war. Inzwischen ist die erste Post-Genozid-Generation erwachsen und diese fordert, in einem Land zu leben, das ihnen mehr bieten kann als nur eine tragische Geschichte. Diese Jugend will Chancen und Teilhabe an der modernen Welt.
Die Ausstellung Wir sind Ruanda von Tom Baerwald (Fotografie) und Andrea Jeska (Text) erzählt von diesen Menschen. Es sind Portraits von Überlebenden und Tätern, von solchen, die vergaben und solchen, deren Wunden nie heilten, von Sportlern und Künstlern, Musikern und Designern. Von Menschen, die im Gestern gefangen sind und von solchen, die das Morgen nicht erwarten können. Vor allem aber sind diese Bilder der Spiegel des heutigen Ruandas.
Über die Autoren
Andrea Jeska (Text)
Geboren 1964 in Bremerhaven, aufgewachsen in Flensburg, gelebt in Virginia, USA, und Tokio, Japan. Eher zufällig zum Journalismus gekommen, aber umso begeisterter. Volontariat und Redakteurszeit beim Ostholsteiner Anzeiger, Eutin, und bei den Lübecker Nachrichten. Seit 2000 freiberufliche Journalistin mit Schwerpunkt Afrika, Menschenrechte, Entwicklungspolitik. Tätig für Die Zeit, F.A.Z., F.A.S., FR, Freitag, Brigitte, Chrismon, Lettre International u. a. Seminare und Vorträge für verschiedene Stiftungen und Organisationen.
TV: ARD-Dokumentation Rothkirchs Krieg in Zusammenarbeit mit der Fernsehproduktion Leipzig (Sendetermin Okt. 2005); WDR-Dokumentation Die toten Kinder von Beslan (Sendetermin Sept. 2005)
Bücher: Beslan, Requiem (2005); Vom Bild der Welt (2007); Als der Inkosi tanzen lernte ( 2007); Tschetscheniens vergessene Kinder (2007); Wir sind kein Mädchenverein – Frauen in der Bundeswehr (2010); Die Sehnsucht des Schlangengottes (2013); Simbabwe: Aufbruch oder Agonie (2013)
Auszeichnungen: Katholischer Literaturpreis Polen, Goldener Columbus, Medienpreis für Ethik, Malta Tourism Award, Hansel-Mieth-Preis, Theodor-Wolff- Preis, Reporterpreis.
Tom Baerwald (Fotos)
Geboren 1972, aufgewachsen in Berlin, schloss er im Jahr 2001 die Lehre zum Fotografen ab. Seitdem freiberuflich tätig – erst in der Werbung, später bald mit Spezialisierung auf technische Imagefotografie und Dokumentation der erneuerbaren Energien mit dem Schwerpunkt Forschung/Produktion und ökologische Architektur, vorwiegend für Industrie, Zeitschriften und Magazine.
Mit dem zeitlich sehr intensiven dokumentarischen Portraitprojekt „Wir sind Ruanda – 20 Jahre danach‟ ging Tom Baerwald zum Thema Zeitgeschehen neue Wege.