Namibia und die deutsche Kolonialgeschichte – ein verdrängter Völkermord?
Schuld und Wiedergutmachung
Erstmalig widmete sich der Erinnerungsort in seiner Reihe "Kolonialismus, Völkermord, Erinnerung" dem Thema "Namibia und die deutsche Kolonialgeschichte". Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia) war von 1884 bis 1915 deutsche Kolonie. 1904 führten die Konflikte zwischen der Kolonialmacht und der einheimischen Bevölkerung, die sich um ihr Land sowie um Weide- und Wasserrechte betrogen sah, zum Krieg. Die kaiserlichen "Schutztruppen" unter Generalleutnant von Trotha gingen gegen die aufständischen Herero und Nama auf extrem grausame Weise vor – die historische Forschung spricht von Vernichtungskrieg und Genozid. Die Menschen wurden in die wasserlose Wüste getrieben und verdursteten. Die meisten der 80.000 Herero wurden ermordet, auch die Hälfte der 20.000 Nama starb. Der deutsche Reichskanzler von Bülow wies an, "Konzentrationslager für die einstweilige Unterbringung und Unterhaltung der Reste des Hererovolkes" einzurichten.
Bis heute haben die Aufstände der Herero und Nama und ihre Niederschlagung durch die deutsche Kolonialmacht eine große Bedeutung für Namibia. In der deutschen Öffentlichkeit blieb dieses historische Geschehen dagegen lange unbeachtet. Erst 1989 erklärte der Bundestag die besondere historische Verantwortung Deutschlands gegenüber Namibia. Bei den Gedenkfeierlichkeiten zum 100. Jahrestag im Jahr 2004 sagte die damalige Bundeministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Heidemarie Wieczorek-Zeul in Namibia, "die damaligen Gräueltaten waren das, was heute als Völkermord bezeichnet würde". Sie bekannte sich zur "historisch-politischen, moralisch-ethischen Verantwortung und zu der Schuld, die Deutsche damals auf sich geladen haben". Vielen Nachkommen der Herero und Nama genügt dies jedoch nicht. Sie fordern die Anerkennung als Völkermord und materielle Wiedergutmachung. Entschädigungszahlungen lehnt die Bundesregierung bis heute ab, sie verweist stattdessen auf die besonders intensive deutsche Entwicklungshilfe für Namibia.
Mit Frau Wieczorek-Zeul diskutierte der Afrikanist Dr. habil. Henning Melber, der lange in Namibia lebte und seit 1974 Mitglied der Swapo (South-West Africa People’s Organization) ist. Die beiden Impulsreferate informierten über das historische Geschehen 1904 in "Deutsch-Südwestafrika" sowie die Erinnerung daran in Namibia und in Deutschland. Zur Diskussion stand, welche historische Verantwortung Deutschland gegenüber Namibia hat und was sich daraus für die deutsche Politik ergibt bzw. ergeben sollte. Auch wurde die Kontinuitäten bis zum Vernichtungskrieg und Völkermord an Juden und Sinti und Roma im Nationalsozialismus diskutiert. Die Veranstaltung fand in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung und der Universität Erfurt statt.