Julia Braband: Laudatio für Heino Falcke zur Jochen-Bock-Preisverleihung am 28. Juni 2019
Julia Braband, Theologiestudentin
Nun stehe ich hier als Theologiestudentin und darf eine Laudatio für Sie, lieber Heino Falcke, halten. Es ist eine große Ehre für mich. Und ich bin mir immer noch nicht sicher, wie ich zu dieser Ehre komme. Aber vielleicht finden sich ein paar Punkte, die uns miteinander verbinden.
In diesem Semester belege ich an der Universität eine Vorlesung über die Kirche in der DDR. In der ersten Sitzung fragte der Dozent, welche Themen wir behandeln wollen. Ich sagte: „Der Konziliare Prozess.“ Die Antwort meines Dozenten war: „Das musste ja von Ihnen kommen, Frau Braband.“ Sie glauben nicht, wie erschrocken ich geschaut habe. Wollte er mich vorführen? Aber er sah direkt den Zusammenhang zwischen meinem Ehrenamt und dem Konziliaren Prozess.
Als Ratsmitglied des Lutherischen Weltbundes sind mir die drei großen Anliegen Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung in der Vision des LWB immer vor Augen. Dort heißt es: „Befreit durch Gottes Gnade, eine Gemeinschaft in Christus, die gemeinsam lebt und arbeitet für eine gerechte, friedliche und versöhnte Welt.“ Wir setzten uns unter anderem für über zwei Millionen Flüchtlinge weltweit ein und helfen ihnen unabhängig ihrer Religion. Das Thema der Klimagerechtigkeit wird seit einigen Jahren von der Jugend vehement vorangetrieben.
Als ich vor zwei Wochen im Ökumenischen Zentrum in Genf war, fragte ich beim Ökumenischen Rat der Kirchen nach, ob es denn Bilder von Ihnen, lieber Heino Falcke, im Archiv gibt und ob man sich an Sie erinnert. Was meinen Sie?
Es gibt EIN Bild. Ich habe es mal mitgebracht!
Und bei der Frage des Erinnerns, konnte ich zwei Gruppen Mitarbeitende identifizieren. Die eine Gruppe arbeitet noch nicht lange beim ÖRK und ist jung. Die Geschichte des ÖRK ist ihnen nur wenig bekannt. Und die zweite Gruppe ist etwas älter, arbeitet schon länger für den ÖRK und war vielleicht in Vancouver zumindest als Steward dabei.
Dabei müssten sich doch so viele, an ihren beeindruckenden Gesprächsbeitrag in Vancouver erinnern!
Ich möchte nur einen Satz daraus zitieren, der am Ende Ihres Vortrags steht: „Die Bedrohungen des Überlebens begegnen heißt also vor allem: Umkehren vom Vertrauen auf Gewalt zur Gerechtigkeit gegenüber Mitmenschen und Mitkreatur.“ Es geht eine klare Botschaft von diesem Satz aus. Eine Botschaft, die sich durch Ihr ganzes Leben zieht.
Als meine Hoffnungen in Genf schon langsam erloschen, begegnete mir ein Mann, der aus dem Geschichten erzählen gar nicht mehr herauskam. Vielleicht erinnern Sie sich noch an Dirk Lange? Er war damals Bruder in Taizé und häufiger in der DDR. Er erzählte mir von diversen, für ihn beeindruckenden und bewegenden, Begegnungen mit Ihnen. Unter anderem von Ihrer ersten Begegnung 1980, als er ein Taizé Treffen in Erfurt vorbereitete.
Und dann fand ich immer mehr Menschen, die ein paar Geschichten mit mir teilten. Ich bin mir sicher, dass es noch viele Menschen gibt, die mir Geschichten über Sie erzählen können. Aber ich hoffe, dass Sie selbst mit mir noch ein paar teilen werden?
Der Einsatz für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung ist ein großer Punkt – neben der Theologie -, der uns beide miteinander verbindet. Dafür bin ich Ihnen unendlich dankbar. Es ist der Geist des Prozesses, der 1983 in Vancouver seinen Anfang fand, der noch heute in unserer Arbeit mitschwingt. Und anscheinend nie an Bedeutung verlieren wird. Der Frieden ist bedroht. Ja er fehlt in vielen Teilen unserer Erde. Auch die Gerechtigkeit, die für mich immer mit dem Frieden einhergeht, scheint noch in weiter Ferne zu sein. In manchen Punkten sind wir vielleicht vorangekommen. Aber die Ungerechtigkeit ist so unbeschreiblich, dass sie mir manchmal Angst macht. Wie kann es sein, dass immer noch Menschen ihrer Religion oder ihrer Herkunft wegen diffamiert werden? Sie werden beleidigt, bespuckt und verletzt. Wann hört das endlich auf? Menschen gehen auf die Straßen, um für ihre Rechte und für die Demokratie zu demonstrieren, aber diese Demonstrationen werden gewaltsam niedergeschlagen. Wann hört das endlich auf? Menschen hoffen auf das Ende eines Krieges, weil ihr Land in Schutt und Asche liegt. Auf der anderen Seite der Welt meint jedoch einer, mit Vergeltungsschlägen zu drohen. Wann hört das endlich auf?
Vor 70 Jahren wurde die UN-Menschenrechtscharta verabschiedet. Aber wie viel ist davon wirklich noch übrig geblieben? Ich habe das Gefühl, dass sie vor allem im Globalen Norden, im angeblich so fortschrittlichen Westen, immer mehr mit den Füßen getreten werden. Sie haben kaum noch Bedeutung. Das macht mich traurig. Es macht mich wütend und ab und zu wird mir um die Zukunft bange.
Die großen Bedrohungen sehe ich auch für unsere Schöpfung. Unwetter werden extremer. Dürreperioden länger. Im Osten Afrikas schaffen es die Menschen nicht sich zu erholen, ehe der nächste Zyklon vor der Haustür steht. In Indien wird das Wasser knapp. Und unterdessen verkaufen Firmen Trinkwasser für unendlich viel Geld. Wir können dankbar sein, für jeden Menschen, der sich für unser Klima und für die Bewahrung der Schöpfung einsetzt.
Immer, wenn es genau um alle diese Themen geht, sind Sie, lieber Heino Falcke, zur Stelle. Sie schweigen nicht. Sie setzen sich für die Schwachen unserer Gesellschaft ein. Sie setzen sich gegen jegliche Menschenfeindlichkeit ein.
Sie sind zur Stelle, wenn zum Campus Anger geladen wird. Sie sind zur Stelle, wenn es am 1. Mai heißt Gesicht zu zeigen gegen Nationalismus, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Unfreiheit und Ungerechtigkeit. Ich habe Sie in diesem Jahr sehr bewundert, als ich Sie im großen und bunten Zug gesehen habe. Meinen größten Respekt und meinen Dank dafür!
Ihr großes Engagement, so habe ich den Eindruck, wurzelt nicht in Vancouver, sondern schon früher. Vor allem in Ihrem Vortrag aus dem Jahr 1972 vor dem Bund Evangelischer Kirchen der DDR: „Christus befreit - darum Kirche für andere!“ Die Forderung nach gesellschaftlicher Mündigkeit wird laut. Die Kirche wird aufgefordert, politisch aktiv zu sein. Kirche für andere zu sein.
So haben Sie damals unter anderem geschrieben, „… dass wir uns zum Mund der Schwachen und Benachteiligten machen.“ Diese Aussage kann nicht oft genug unterstrichen werden. Viel mehr Menschen müssten danach leben und handeln. Was wäre das für eine tolle Gesellschaft? Nicht mehr zur schweigenden Menge gehören, sondern zur sprechenden Mehrheit? Ungerechtigkeiten nicht hinnehmen, sondern ganz klar dagegen Stellung beziehen. Genauso, wie Sie es immer wieder tun. Und ihre Forderung wird im Vortrag noch deutlicher: „Die Aufgabe gegen Unfreiheit und Ungerechtigkeit zu kämpfen, bleibt auch in unserer Gesellschaft, denn die Geschichte steht unter dem Kreuz.“ Wir handeln aus einer christlichen Perspektive heraus. Gerade deswegen müssen wir politisch sein. Für andere da sein. Bonhoeffer klingt immer wieder an.
Aber nicht nur Christinnen und Christen sind aufgefordert, sondern alle. Jeder Mensch ist aufgefordert. Auch die, die meinen, sie hätten nichts zu sagen. Einfach jede und jeder. Dann wären die Stimmen der Populisten kaum noch hörbar. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit hätte keine Chance.
Aber die „Scheißegal-Mentalität“ hilft auf dem Weg zu mehr Frieden und Gerechtigkeit leider nicht weiter. Deshalb braucht es umso mehr Menschen wie Sie, lieber Heino Falcke! Wenn nur jeder fünfzehnte so wäre, hätte die Welt schon an Gerechtigkeit gewonnen.
„Glaubt nicht, dass wir alles wissen, aber glaubt, dass wir alles tun wollen.“ So steht es im Brief an die Kinder, verfasst von der Ökumenischen Versammlung 1989/1990. Nun gehöre ich der Generation an, die nach den angesprochenen Kindern folgte. Dennoch ist dieser Satz einer, der prägt. Es ist ein Satz, der in seiner Einfachheit eine unendlich weite Dimension eröffnet.
Ich muss ehrlich zugeben, dass mir der Text bis vor einigen Wochen gar nicht bekannt war. Aber er lässt mich nicht mehr los. Und genau so habe ich Ihr Engagement, lieber Heino Falcke, immer erlebt und ich hoffe, es noch oft so erleben zu dürfen. Sie wissen viel, unheimlich viel. Das steht außer Frage. Aber selbst wenn Sie etwas nicht wissen würden, sind sie trotzdem für die Schwachen und Benachteiligten da. Sie zeigen Gesicht. Immer und immer wieder. Sie werden nicht müde, gegen Ungerechtigkeit und Unfreiheit aufzustehen!
Ich danke Ihnen dafür, dass Sie ein Vorbild sind. Ein Vorbild im Glauben und für die ökumenische Arbeit. Ein Vorbild für den Einsatz am Schwächsten. Ein Vorbild für Zivilcourage. Ein Vorbild für Gerechtigkeit. Ein Vorbild für den Frieden. Ein Vorbild für unser Zusammenleben auf der Erde.
Danke!