Annegret Schüle: Einführung in die Ausstellung "Industrie und Holocaust"
Annegret Schüle, Kuratorin der Ausstellung
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Ebling,
sehr geehrte Mitglieder des Stadtrates,
sehr geehrter Herr Steinmetz,
sehr geehrter Herr Hagemann,
lieber Rüdiger Bender,
sehr geehrte Damen und Herren,
ich möchte mit dem Dank an die Stadt Mainz für die Präsentation unserer Wanderausstellung "Industrie und Holocaust: Topf & Söhne – Die Ofenbauer von Auschwitz" beginnen. Wie jede große Ausstellung ist ein solches Produkt Teamwork – die vielen Beteiligten können Sie dem Impressum entnehmen. Hervorheben möchte ich, dass diese Ausstellung ohne ein erstes Wanderausstellungsprojekt der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora vor 15 Jahren, ohne die Förderung der Bundeskulturstaatsbeauftragten und des Freistaats Thüringen und ohne die Unterstützung des Förderkreises Erinnerungsort Topf & Söhne e. V. nicht möglich gewesen wäre.
Mit der Technik für die Vernichtung von Menschen und die Leichenbeseitigung erwirtschaftete J. A. Topf & Söhne, Erfurt knapp zwei Prozent und damit einen verschwindend geringen Teil seines Umsatzes. Doch diese zwei Prozent berechtigen, das Unternehmen zum Thema einer internationalen Wanderausstellung zu machen.
Hier verbindet sich die Industriegeschichte mit dem Massenmord in Auschwitz an 960.000 Juden, über 70.000 Polen, 21.000 Sinti und Roma, 15.000 sowjetischen Kriegsgefangenen sowie 15.000 Menschen verschiedener Nationalitäten.
Nachdem die SS in Auschwitz entdeckt hatte, dass man mit dem Insektenvertilgungsmittel Zyklon B Tausende von Menschen in wenigen Minuten töten kann, bestand ihr größtes Problem darin, wie sie die große Zahl der Leichen spurlos verschwinden lassen konnte. Die leistungsfähigen Verbrennungsöfen von Topf & Söhne waren geeignet, dieses Problem für die SS zu lösen. Auch bei der Vernichtung selbst stellten sich technische Fragen, für welche Topf & Söhne die Antworten lieferte. Erst ihre Be- und Entlüftungen schufen die Voraussetzung, um die unterirdischen Gaskammern in Auschwitz-Birkenau überhaupt kontinuierlich als Tötungseinrichtung benutzen zu können.
Die ungeheuerliche Praxis der Massenvernichtung menschlichen Lebens in Auschwitz-Birkenau war in der Erfurter Firma präsent: als Lieferauftrag, als Arbeitsvorgang, als technologische Herausforderung. In den Köpfen und den Papieren der bei Topf & Söhne mit den SS-Aufträgen befassten Mitarbeitern gingen das Menschheitsverbrechen in den Todesfabriken von Auschwitz und der zivile Arbeitsalltag in Erfurt eine Verbindung ein, die in ihrer Selbstverständlichkeit stark irritiert.
Mit dem Konzipieren der Anlagen, auch in eigener Initiative und ohne ausdrücklichen Auftrag der SS, reagierten die Ingenieure unmittelbar auf die Radikalisierung des Mordens und bemühten sich, ihr mit neuen technischen Lösungen zu entsprechen: Dabei nahmen sie den Vernichtungsprozess und dessen Resultat, die Vielzahl der Toten, gedanklich vorweg. Sie standen mit Stoppuhren vor den Öfen in Auschwitz, um die Verbrennungszeit zu messen und zu verkürzen. Sie nahmen an der Ermordung von Menschen mit Gas teil, um ihre Lüftungstechnik zu testen.
Hannah Arendt beschrieb 1964 in einem Fernsehinterview mit Günter Gaus ihre Reaktion, als sie 1943 zum ersten Mal von der Massenvernichtung erfahren hatte, mit folgenden Worten: "Das Entscheidende ist ja nicht '33, jedenfalls für mich nicht. Das Entscheidende ist der Tag gewesen, an dem wir von Auschwitz erfuhren. […] Vorher hat man sich gesagt: Nun ja, man hat halt Feinde in der Welt, nicht. Das ist doch ganz natürlich. Warum soll ein Volk keine Feinde haben? Das ist eine Bande, alles möglich. Aber dies ist ganz anders gewesen. Das war wirklich, als ob der Abgrund sich öffnet. Weil man irgendwie die Vorstellung gehabt hat, alles andere hätte irgendwie noch einmal gut gemacht werden können, wie in der Politik ja alles irgendwie einmal wieder gut gemacht werden können muss.
Dies nicht. Dies hätte nie geschehen dürfen. Und damit meine ich nicht die Zahl der Opfer. Sondern ich meine die Fabrikation der Leichen […]. Da ist irgendetwas passiert, womit wir alle nicht mehr fertig werden."
Die industrielle Vernichtung von Menschenleben fassten jene, die in den Krematorien von Auschwitz-Birkenau arbeiten mussten und in der Ausstellung zu Wort kommen – die Häftlinge der Sonderkommandos – im Bild der "Todesfabriken". Unter den mindestens elf Firmen, die diese Todesfabriken bauten und ausstatteten, war Topf & Söhne für die SS die wichtigste. Indem sie technische Anlagen nur dafür ersannen, erstellten, in Betrieb hielten und verbesserten, um Menschen massenhaft ihres Lebens zu berauben und ihre Leichen verschwinden zu lassen, machten sich die Unternehmer und Techniker aus Erfurt zu Mittätern eines Massenverbrechens.
Wesentliche Entlastungsmuster konnte die Täterforschung in den letzten Jahrzehnten widerlegen: die Vorstellung von den dämonischen Tätern mit pathologischen Motiven wie auch die Vorstellung, die Bevölkerung habe von der Judenvernichtung nichts gewusst. Dass zudem zahlreiche Deutsche in vielerlei Hinsicht von Vernichtungskrieg und Judenmord profitierten, haben Forschungsdebatten eindrücklich belegt. Die Ausstellung untersucht nun an einem exponierten historischen Beispiel, wie der Holocaust durch ein normales Wirtschaftsunternehmen mitten in der deutschen Gesellschaft mit ermöglicht und mit getragen wurde.
Die Verantwortlichen und Mitarbeiter von Topf & Söhne waren weder fanatische Nationalsozialisten noch radikale Antisemiten. Sie agierten nicht als Teil einer Organisation wie der SS oder innerhalb militärischer Strukturen mit Befehl und Befehlsausführung. Ihr Handeln kann auch nicht als kollektive Verrohung gedeutet werden, wie sie weit entfernt vom alltäglichen und familiären Umfeld etwa bei den mobilen Mordkommandos – den so genannten Einsatzgruppen – hinter der Ostfront einsetzte. Die Arbeit bei Topf & Söhne war eingebettet in einen gewöhnlichen Alltag im heimatlichen Umfeld und in der Familie.
Die Ausstellung "Industrie und Holocaust: Topf & Söhne - Die Ofenbauer von Auschwitz" beginnt mit der Firmengründung durch Johann Andreas Topf 1878 und beschreibt den Aufstieg zu einer Firma mit Weltgeltung in der zweiten Unternehmergeneration an der Wende zum 20. Jahrhundert. Die Geschichte der Feuerbestattung und die Darstellung des Erfolgs der Firma bei der Entwicklung pietätvoller Krematoriumsöfen lässt die "Fallhöhe" ermessen, die der Bau von Leichenverbrennungsöfen für die nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager ab 1939 bedeutete.
Firmeninhaber, Ingenieure, Monteure und andere Mitarbeiter werden vorgestellt, untersucht wird ihre Rolle innerhalb der Betriebsgemeinschaft und bei den SS-Geschäften. Schlüsseldokumente zum Holocaust aus dem Betriebsarchiv, aus Auschwitz und Moskau beweisen, wie viel die Männer bei Topf und Söhne über die nationalsozialistischen Verbrechen in den Lagern wussten und in welcher Form sie selbst als Zivilisten beteiligt waren. Berichte von Häftlingen bezeugen, was den Menschen in Auschwitz mithilfe der Produkte von Topf & Söhne angetan wurde.
Weil die Ingenieure und Zeichner die Anlagen wie damals üblich an Zeichenmaschinen konstruierten, haben wir die Gestalt des Hauptexponatträgers an dieses "Tatwerkzeug" angelehnt, wie Sie sehen.
Die Ausstellung regt zur Reflexion an: Was bedeutet es, wenn ein ganz normales Unternehmen wie Topf & Söhne in der Hölle von Auschwitz agiert? Was waren das für Männer, die die Geschäfte mit der SS abschlossen und umsetzten? Über welche Handlungsspielräume verfügten sie, wie gingen sie damit um? Was war ihre Haltung und was waren die Beweggründe für ihr Handeln?
Ich beschäftige mich nun seit über 16 Jahren wissenschaftlich mit der Rolle von Topf & Söhne im Nationalsozialismus und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass die landläufige Vorstellung, für die Beteiligung an einem monströsen Verbrechen brauche es monströse Motive, hier nicht weiterhilft.
Wie mit der Schuld der Beteiligten nach 1945 in Ost- und Westdeutschland und nach 1990 im vereinten Deutschland umgegangen wurde, ist Inhalt der Nachgeschichte. Als Geschäftsinhaber waren die Brüder Ludwig und Ernst Wolfgang Topf aus der dritten Generation der Unternehmerfamilie die Hauptverantwortlichen für die Zusammenarbeit mit der SS. Ludwig Topf vergiftete sich in den frühen Morgenstunden des 31. Mai 1945 im Alter von 41 Jahren, nachdem ihm amerikanische Offiziere seine Verhaftung angekündigt hatten. Sein ein Jahr jüngerer Bruder Ernst Wolfgang Topf wollte sich darauf in den westlichen Besatzungszonen die gemeinsame Lebensversicherung auszahlen lassen und konnte nach dem Besatzungswechsel in Thüringen nicht zurückkehren, weil die sowjetischen Militärbehörden ihm die Einreise verweigerten. Mit der Eintragung der Firma als J. A. Topf & Söhne ins Handelsregister Wiesbaden 1951 knüpfte Ernst Wolfgang Topf an die aus seiner Sicht ruhmreiche Tradition des Erfurter Familienunternehmens an. Dass er nun ausschließlich Krematoriums- und Abfallvernichtungsöfen baute und sich damit auf den kleinen Produktionsbereich konzentrierte, der zur Basis für die Mittäterschaft am Holocaust wurde, macht deutlich, dass er bei sich keine Schuld sah und sein Handeln im Nationalsozialismus nicht infrage stellte.
Ab 1954 ist die Stadt Mainz für einige Jahre Schauplatz der Geschichte, wie wir eben schon gehört haben. Auf Tafel 4.6 der Ausstellung geht es um die Gründe für das Ende der Firma hier in dieser Stadt. Unter dem Titel "Macht ohne Moral" veröffentlichte der Journalist und ehemalige Dachau-Häftling Reimund Schnabel 1957 eine Dokumentation über die SS. In dem Buch befinden sich zwischen Fotos von Leichenbergen und Öfen aus verschiedenen Konzentrationslagern, darunter Buchenwald, die Abschrift von zwei Dokumenten von Topf & Söhne, welche die Geschäfte der Firma mit der SS zum Inhalt haben. Ernst Wolfgang Topf nahm dazu wie folgt Stellung: "Das Buch, das auf jeden, der es in die Hand bekommt, einen erschütternden Eindruck macht, ist bei der Stadt Mainz herumgereicht worden. Die Folge war, dass die Firma Topf eine moralische Vernichtung erfuhr und deshalb der Unternehmer dieser Firma allseits abgelehnt worden ist."
Ökonomisch war Ernst Wolfgang Topf zu diesem Zeitpunkt schon am Ende und die Stilllegung seiner Firma nur noch eine Frage der Zeit. Doch noch hoffte er auf einen Kredit des städtischen Lastenausgleichsamtes, um auf den Namen seiner Frau ein Handelsgeschäft zu eröffnen, in dem er Abfallvernichtungsöfen verkaufen wollte. Nach der Veröffentlichung von "Macht ohne Moral" zog Amtsleiter Dr. Piper seine telefonisch gegebene Zusage zurück und der Familie Topf blieb nur noch der Weg in die Sozialhilfe.
Ernst Wolfgang Topf, der 1974 in Brilon im Sauerland starb, leugnete zeitlebens jede wissentliche Verbrechensbeteiligung und rechtfertigte die Geschäfte mit der SS als konventionelle, legale Lieferung harmloser Produkte, die missbraucht worden seien. In seiner Erwiderung auf Raimund Schnabel verstieg er sich zu den Schlussworten: "Es ist keine Phrase, wenn ich mein Haus und sein gesamtes Verhalten in den 12 Jahren des Hitlerreiches mit den Worten kennzeichne: "Moral ohne Macht".
Die Frage, ob und wie eine Gesellschaft die Geschichte der Täter aus ihrer Mitte erinnert, hat auch Jahrzehnte nach dem Krieg an Brisanz nichts eingebüßt. In Erfurt erreichte das Engagement von Menschen, die seit Ende der 1990er Jahre unbeirrt einen historisch fundierten und pädagogisch produktiven Umgang mit dem ehemaligen Firmengelände forderten, schließlich die Zuständigen der Kommune. Am 27. Januar 2011 wurde der "Erinnerungsort Topf & Söhne – Die Ofenbauer von Auschwitz" als Geschichtsmuseum der Landeshauptstadt Erfurt eröffnet. Damit entstand die einzige Einrichtung in Europa, die an einem historischen Firmenstandort die Mittäterschaft der Industrie am Holocaust exemplarisch zeigt, ausstellungsdidaktisch aufbereitet und pädagogisch vermittelt.
Begleitend zur Wanderausstellung, die wir heute eröffnen, hat der Erinnerungsort Topf & Söhne die wichtigsten Texte und Dokumente in einem deutsch-englischen Band veröffentlicht, den Sie hier für 17,90 € erwerben können. Wir haben zudem pädagogische Materialien zum Besuch mit Gruppen entwickelt, als Download auf unserer Website www.topfundsoehne.de verfügbar, sowie den internationalen Webdialog "Verbrechen und Verantwortung: Erinnern für das 21. Jahrhundert " auf dieser Website initiiert. Als Forum der Reflexion über individuelle Verantwortung und grundlegende Werte in einem zukunftsfähigen Europa kreist der Dialog um die Fragen: Was bedeutet der Holocaust für Sie? Wie sehen Sie das Handeln von Topf & Söhne? Welche Konsequenzen sollen wir für eine gemeinsame Zukunft ziehen?
Am Webdialog nehmen Überlebende des Holocaust teil. Im Eröffnungsbeitrag sagt die ungarische Jüdin Éva Fahidi-Pusztai, die als einzige ihrer Familie Auschwitz-Birkenau überlebte und dort 49 Verwandte verlor, zu Erfurter Schülerinnen und Schülern: "Wenn ich die erste Frage zu beantworten habe, was mir der Holocaust bedeutet, hab ich einen sehr kurzen Satz dazu: Holocaust ist einfach mein Leben geworden."
Vor einem Jahr wurde die internationale Wanderausstellung im Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau in einer polnisch-englischen Version eröffnet. In sieben Monaten wurde sie dort von 30.000 Menschen besucht.
Es ist gut, dass die nächsten Präsentationen in einer deutsch-englischen Version nun hier in Mainz und anschließend in Wiesbaden stattfinden. Hier schließt sich der Bogen im Engagement für eine aktive und kritische Erinnerungskultur zu jenen Seiten unserer Geschichte, die viele Menschen nach dem Krieg – nicht nur Ernst Wolfgang Topf – gerne verdrängen wollten. Diese Erinnerung ist heute so besonders wertvoll, weil wir aus ihr lernen können, wozu Ignoranz gegenüber den Folgen des eigenen Tuns und ein Mitmachen aus alltäglichen Motiven führen kann und welche Verantwortung und welche Handlungsspielräume jeder einzelne hat.
Vielleicht sehen wir uns ja am Mittwoch nächster Woche wieder, wenn ich die Gelegenheit haben werde, Ihnen in dem Vortrag "Verbrechen und Verdrängung. Die Erfurter Firma Topf & Söhne und ihr Ende in Mainz" die Schlüsselquellen vorzustellen und sie zu interpretieren sowie ausführlicher über Topf & Söhne in Mainz zu sprechen.
Wir hören nun zum Abschluss einige Worte von Naftali Fürst auf der Gedenkveranstaltung am 27. Januar 2018 im Erinnerungsort Topf & Söhne. Naftali Fürst stammt aus Bratislava und überlebte als Kind vier Konzentrationslager, darunter Buchenwald und Auschwitz. Er berichtet davon, wie unfassbar es für ihn war, als er bei der Eröffnung des Erinnerungsortes vor sieben Jahren davon erfuhr, wie ganz normale Menschen in ihrem Berufsalltag bei Topf & Söhne Öfen für die Konzentrationslager bauten.