Thüringer Allgemeine: Von der Kraft des authentischen Ortes

24.10.2024 10:00

Warum der Erfurter Erinnerungsort „Topf & Söhne“ künftig noch gezielter mit Schulen zusammenarbeiten will

von Elena Rauch

Erfurt. Im September erhielt Annegret Schüle, Oberkuratorin am Erfurter Erinnerungsort Topf & Söhne, die Anmeldung einer Lehrerin für ein Seminar ihrer Schüler. Es sollte um das Schicksal des jüdischen Mädchens Miriam gehen, das eine Ausstellung am Erinnerungsort derzeit erzählt. Die Kenntnisse über die NS-Zeit seien in der Klasse noch gering, schrieb die Lehrerin und es gebe einen Schüler, der nicht frei von Einfluss rechter Rhetorik sei. Im Seminar, erinnert sich Annegret Schüle, habe sich dieser Schüler durchaus interessiert gezeigt. Er habe allerdings, so ihr Eindruck, sein geschichtliches Wissen aus zweifelhaften Online-Kanälen gezogen.

Die Kuratorin erzählt das so ausführlich, weil dieser Fall in gewisser Weise symptomatisch ist. Man erhalte seit den Landtagswahlen vermehrt Anfragen von Lehrern, die berichten, dass rechte Meinungen offener und lauter an Schulen geäußert werden. Dahinter aber, fügt sie hinzu, stünden nur selten wirklich rechtsextreme Haltungen. Sondern Jugendliche, die auf der Suche nach ihrer politischen Identität rechten Populisten und Geschichtsverdrehern in sozialen Medien auf den Leim gehen.

Schulen spiegeln auch gesellschaftliche Stimmung

Einen alarmierenden Anstieg rechten Gedankenguts in Schulen in den vergangenen Monaten sehen die Schulamtsleiter nicht. Doch Schule ist keine Insel, bilde ab, was in der Gesellschaft passiert. Die Jugendlichen nehmen auf, was sie von Erwachsenen draußen hören, oder zu Hause in den sozialen Medien lesen. Verdrehte Geschichtsbilder, die zum Beispiel über Tik Tok verbreitet werden, worauf Winfried Speitkamp, Staatssekretär im Bildungsministerium verweist. Das sei eine Herausforderung, denen man sich auch in den Schulen stellen müsse.

Und Orte wie dieser sind dabei Partner von besonderem Wert. Das soll in den kommenden Jahren verstärkt und noch besser auf die Bedarfe der Schulen ausgerichtet werden, fixiert in einem Kooperationsvertrag, den Thüringer Schulämter und der Erinnerungsort am Mittwoch unterschrieben. Angesichts aktueller Herausforderungen für Demokratie und Rechtstaat spiele Bildung zur NS-Zeit eine besondere Rolle, konstatieren die Partner.

Nachfragen im vergangenen Jahr gestiegen

Die Nachfrage nach Seminaren und Führungen sei im vergangenen Jahr um 15 Prozent gestiegen, so Annegret Schüle. Gedenkstättenpädagogin Rebekka Schubert trifft bei Schülern auf unterschiedliche Wissensstände, die Spannbreite ist groß. Viele haben sich in Projekten schon intensiv mit der NS-Zeit und ihren Abgründen beschäftigt, auf der anderen Seite habe ihr eine Schülerin einmal gesagt, sie habe schon lange überhaupt keinen Geschichtsunterricht gehabt.

Aus Wissen kann Haltung wachsen

Den ersetzt natürlich auch ein Besuch bei Topf & Söhne nicht. Aber ein authentischer Ort, an dem deutsche Ingenieure die Öfen von Auschwitz bauten, hat ein Potenzial, das kein Geschichtsbuch hat. Hier sind Schuld und Mitläufertum dokumentiert, hier bekommt die Frage nach Verantwortung, und persönlicher Entscheidung besonders Gewicht. Aus Wissen kann Haltung wachsen. Darum geht es am Ende.