Thüringer Allgemeine: Namen gegen das Vergessen

10.05.2022 12:36

Für Erfurter Todesopfer der Shoah soll ein digitales Gedenkbuch erstellt werden.

von Casjen Carl

Erfurt. Der Name von Günther Beer ist als erster auf dem Granitpflaster vor dem Hauptbahnhof zu lesen. 473 weitere folgen. Es sind jene Jüdinnen und Juden aus Erfurt, die zwischen 1933 und 1945 aus der Stadt zu den Orten der Vernichtung deportiert wurden, fast ausnahmslos starben.

Namen der Erfurter Jüdinnen und Juden auf dem Bahnhofsvorplatz

„Schreiben gegen das Vergessen“ heißt die von der Künstlerin Margarete Rabow ersonnene Gedenkaktion, die die Opfer der Shoah aus der Anonymität und dem Vergessen holen soll. Genau vor 80 Jahren wurden in Erfurt 101 Menschen in einen Zug nach Weimar verfrachtet. Mit anderen Juden aus 41 Thüringer Orten kamen sie in die Viehauktionshalle, wurden von dort in das Ghetto Bełżyce gebracht.

„Schreiben gegen das Vergessen“ heißt die von der Künstlerin Margarete Rabow ersonnene Gedenkaktion, die die Opfer der Shoah aus der Anonymität und dem Vergessen holen soll. Genau vor 80 Jahren wurden in Erfurt 101 Menschen in einen Zug nach Weimar verfrachtet. Mit anderen Juden aus 41 Thüringer Orten kamen sie in die Viehauktionshalle, wurden von dort in des Ghetto Bełżyce gebracht.

Von 474 Erfurterinnen und Erfurtern jüdischen Glaubens weiß man bisher gesichert, dass sie dem Genozid durch die Nationalsozialisten zum Opfer fielen. „Sie hatten hier ihr Leben, ihre Hoffnungen… “, sagt Annegret Schüle, Leiterin des Gedenkortes „Topf & Söhne“. Indem man ihre Namen und die Geschichten dahinter nennt und zusammenträgt, schaffe man eine Basis, um dauerhaft über diesen grausamen Teil der deutschen Geschichte zu reden und sich damit auseinanderzusetzen.

Rabbiner Alexander Nachama nennt in seinem Gedenkgebet für die Opfer der Shoah die 27 Orte, an denen die Erfurter Juden zu Tode kamen. Aber nicht für alle liegen neben dem Namen auch Lebensdaten vor. Was Gegenstand von Nachforschungen sein soll. Und das auch zu den Opfern aus anderen Orten Thüringens. Denn als Ziel steht bis zum Herbst, ein Digitales Thüringer Gedenkbuch für die ermordeten Jüdinnen und Juden zu erstellen, das über die Internetseite www.juedisches-leben-thueringen.de einzusehen sein wird.

Um diese Aufgabe zu bewältigen, sind neben „Topf & Söhne“ – wo die Fäden zusammenlaufen – die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau Dora, die Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek sowie die Landeszentrale für politische Bildung Thüringen sowie weitere Partner aus Meiningen, Gera und Weimar in eine Kooperation eingestiegen. Nach dem Auftakt in Erfurt wird es weitere Schreib-Aktionen in letztgenannten Orten geben, über den Sommer soll aber auch in 50 Orten Thüringens geforscht werden, welche Einwohner Opfer der Genozids wurden.

 „Wir sind darauf angewiesen, dass es Leute gibt, die sich bereits damit beschäftigen“, umschreibt Annegret Schüle, wie die Informationen zusammengetragen werden sollen. Und man werde einen Aufruf starten, sich an der Spurensuche zu beteiligen. Alles basiert dabei auf einer Liste mit 2500 Namen, die das Bundesarchiv auf Anfrage geliefert hat. Nun gelte es, die Angaben noch einmal zu überprüfen.

Für Erfurt sei wie erwähnt die Datenlage vergleichsweise gut, da es das Buch „Ausgelöschtes Leben“ gibt, das 453 Kurzbiografien enthält.

Am Bahnhof beschreibt Oberbürgermeister Andreas Bausewein (SPD) vor Beginn der Aktion, was es emotional ausmacht, dass in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Israel unter jedem Foto auch die Namen der Menschen stehen. Die Erfurterin Karla Scheide-Strobach, die zufällig stehen bleibt, sagt: „Es ja heute nicht ein Tag wie jeder andere. Ich finde die Aktion gut.“ – „Und es gibt triftige Gründe, dass man nicht vergisst.“

Derweil erscheinen immer mehr mit Kreide geschriebene Namen auf dem Granit: Betty Ardel; Alfred, Lina und Sophie Appel, Rosalie Birnbaum; Siglinde Götz, Walter Bauer, Katharina Gottschalk; Ilse Arnheim; Erich, Alfred, Frieda und Gustav Friedmann …