Veranstaltungsbericht zur Jochen-Bock-Preisverleihung am 12. Dezember 2015
Abschluss und gleichzeitig Höhepunkt des Veranstaltungsjahres 2015 am Erinnerungsort war am Samstag, 12. Dezember 2015, die zweite Verleihung des Jochen-Bock-Preises. Der Preis wurde im Jahre 2014 vom Förderkreis Erinnerungsort Topf & Söhne e. V. ins Leben gerufen und wird in Zusammenarbeit mit der Martin-Niemöller-Stiftung an Menschen verliehen, welche die "Bürgerpflicht zum Neinsagen" (Fritz Bauer) in ermutigender Weise wahrgenommen haben und in ihrem Leben mutig gegen Antisemitismus, Antiziganismus und jede Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit vorgegangen sind.
Vor über 100 Gästen benannte Dr. Annegret Schüle, Kuratorin des Erinnerungsortes, in ihrer Begrüßung die diesjährigen drei Preisträger: Ludwig Baumann, der als junger Soldat vor dem Hintergrund der erschreckenden Gräueltaten durch die Wehrmacht desertierte und nach dem Krieg zum unermüdlichen Kämpfer für die Rehabilitierung der Opfer der NS-Militärjustiz wurde; Esther Bejarano, die als jüdisches Mädchen Auschwitz im »Mädchenorchester« überlebte und seit Jahrzehnten – auch mit den Mitteln der Musik – für Mitmenschlichkeit und gegen Hass eintritt und im Gespräch mit jungen Menschen dafür kämpft, das Erinnern an die beispiellosen Verbrechen des Nationalsozialismus wachzuhalten, sowie an Romani Rose, Enkel von im Nationalsozialismus ermordeten Sinti, der sein Leben lang für die Anerkennung des Völkermords an den Sinti und Roma eingetreten ist und sich mit großem Engagement für die deren Bürgerrechte einsetzt. Annegret Schüle konnte ihrer großen Freude Ausdruck verleihen, dass der Erinnerungsort hochrangige Vertreter aus Politik und Gesellschaft als Laudatoren für die Festveranstaltung gewinnen konnte: Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow, Erfurts Oberbürgermeister Andreas Bausewein und der Vorsitzenden der Jüdischen Landesgemeinde, Prof. Dr.-Ing. habil. Reinhard Schramm. Für die musikalische Begleitung der Preisverleihung sorgten die Musiker Eugen Mantu, Violoncello, und Alexander Fernbach, Violine. Sie boten ein Konzert im Rahmen der Reihe "Vergessene Genies" dar und spielten die großartigen Werke von drei jüdischen Komponisten, die während des Zweiten Weltkriegs ermordet wurden.
In seiner Festansprache erinnerte Rüdiger Bender, Vorsitzender des Förderkreises, an Entstehung und Hintergrund des Jochen-Bock-Preises. Der Namensgeber der Auszeichnung war einer von fünf Schülern der städtischen Handelsschule in Erfurt, die 1943 den Mut aufbrachten, in Flugblättern das Ende des Hitler-Regimes zu fordern. Sie wurden verhaftet und zu Gefängnisstrafen verurteilt. Jochen Bock starb bereits 1947 an Tuberkulose, die wahrscheinlich auf die Haftbedingungen zurückzuführen war.
Zur diesjährigen Festveranstaltung anwesend war mit Karl Metzner einer der fünf Schüler. An ihn und die anderen vier mutigen Jugendlichen erinnerte die Premiere des Dokumentarfilmes "Nieder mit Hitler", der von der Gedenkstätte Andreasstraße in Kooperation mit dem Erinnerungsort und der Universität Erfurt produziert wurde. Er legt anschaulich Zeugnis von dem couragierten Eintreten der jungen Menschen gegen ein menschenverachtendes, mörderisches Regime ab. Anwesend war auch Gerhard Laue, Mitschüler der jungen Widerstandskämpfer und heute – auch in diesem Dokumentarfilm – ein wichtiger Chronist der damaligen Ereignisse.
Das Medium des Films leistete auch im weiteren Verlauf des Nachmittags wertvolle Dienste, denn bedauerlicherweise konnten mit Ludwig Baumann und Esther Bejarano zwei Preisträger wegen ihres fortgeschrittenen Alters beziehungsweise wegen einer Erkrankung die Auszeichnung nicht persönlich entgegennehmen. Einspieler, welche die beiden im Interview zeigten, vermittelten ein anschauliches Bild ihres Engagements. Zusätzlich wurden Dankesworte von Ludwig Baumann und Esther Bejarano verlesen, so dass beide, wenn schon nicht persönlich, so doch in Wort und Bild inmitten aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren.
Die Laudatoren brachten mit sehr persönlichen und bewegenden Worten allen Gästen die beiden Preisträger nahe. So erinnerte Bodo Ramelow, der Ludwig Baumann seit dem Jahr 1995 gut kennt, an ihren gemeinsamen und erfolgreichen Kampf für die Etablierung des Erfurter Deserteursdenkmal auf dem Petersberg und für die Rehabilitierung aller Soldaten, die sich einem unmenschlichen Krieg entzogen und dafür noch Jahrzehnte nach dem Krieg mit Repressalien zu leben hatten. Andreas Bausewein würdigte den beständigen Kampf Esther Bejaranos gegen das Vergessen, insbesondere ihre vielen Begegnungen mit Schülern, die sie zu einer unersetzlichen Fürsprecherin für Mitmenschlichkeit macht. Romani Roses Einsatz gegen Diskriminierung und Fremdenhass und seinen Einsatz für ein Miteinander der Kulturen und Religionen hob Reinhard Schramm in seiner Laudatio hervor. Der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde skizzierte die Lebensleistung des Geehrten: seinen jahrzehntelangen Einsatz für das Erinnern an die systematische Ermordung der Sinti und Roma im Nationalsozialismus, sein vielfältiges Wirken für die Bürgerrechte der Sinti und Roma und sein Verbundenheit stiftendes Bekenntnis für die Schicksalsgemeinschaft aller Opfer des NS-Regimes. Der Geehrte selbst griff in seinem Dank einen Gedanken auf, der sich wie ein roter Faden durch die Reden des Tages zog: Der Blick zurück müsse Energie und Elan geben, um heute und in der Zukunft den neuen Kräften, die Fremdenhass predigen und auch vor Gewalt gegen andere nicht zurückschrecken, beherzt entgegenzutreten. Das Beispiel der fünf mutigen Schüler sei vor diesem Hintergrund nicht hoch genug einzuschätzen, sagte Romani Rose und richtete seinen herzlichen Dank persönlich an Karl Metzner.
Karl Metzner gehörte im Jahr 2014 zu den Preisträgern der ersten Verleihung des Jochen-Bock-Preises; die beiden anderen Geehrten waren seinerzeit der frühere Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde Wolfgang Nossen, der wie Karl Metzner bei der diesjährigen Preisverleihung anwesend war, und Eva Pusztai, 90jährige Auschwitz-Überlebende und Botschafterin für Menschlichkeit und gegen das Vergessen, die noch im Oktober den Erinnerungsort besucht hatte. Sie wird, so konnte Annegret Schüle in ihrem Schlusswort verkünden, zum fünfjährigen Bestehen des Erinnerungsortes Ende Januar mit einem Tanzprojekt über ihr Leben nach Erfurt kommen.
Dank unseres Förderkreismitglieds Holger Wiemers können wir unseren Besucherinnen und Besuchern regelmäßig von den anregenden Diskussionen, Gesprächen und Begegnungen im Erinnerungsort berichten.