Eine ermutigende Ausstellung, die an Mitmenschlichkeit erinnert
Die wissenschaftliche Volontärin des Erinnerungsortes Topf & Söhne, Lisa Caspari, spricht über die aktuelle Sonderausstellung „Die Mädchen von Zimmer 28. L 410, Theresienstadt“.
Unsere freiberuflichen Guides und unsere Mitarbeiterinnen geben Einblicke in ihre Arbeit mit Besuchergruppen. In diesem Tagebucheintrag stellt Ida Forbriger (24), seit Januar 2020 Trainee am Erinnerungsort Topf & Söhne, die Sonderausstellung "Die Mädchen von Zimmer 28. L 410, Theresienstadt" vor. Dabei erzählt sie, warum die Inhalte der Ausstellung für sie besonders wichtig sind und welche Fragen sich in der Auseinandersetzung mit ihnen für unsere Gegenwart ergeben.
Zeichnungen, Bilder und Gedichte ermöglichen einen Einblick in die Lebenswelt der zwölf bis vierzehn Jahre alten Mädchen, die in einer unmenschlichen Zeit Mitmenschlichkeit, Freundschaft und Solidarität miteinander lebten. Immer wieder wurde diese Gemeinschaft auseinander gerissen, wenn Mädchen in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau verschleppt wurden. Von den 50 bis 60 Mädchen, die jeweils für eine Zeit in Zimmer 28 untergebracht waren, überlebten nur 15 den Holocaust.
Die Zeichnung in Vera Naths Album lässt erahnen, wie die allgegenwärtige Angst vor den "Transporten nach Osten" das Leben im Ghetto bestimmte. Die riesigen Buchstaben "TRANSPORT" schweben in ihrem Bild über allem, werfen einen Schatten auf die Landschaft, in der Waggons fahren. Wo die Deportationszüge hinfuhren wussten die Mädchen nicht. Aus einem Aufsatz von Ruth Gutmann sprechen die Verzweiflung und die Ungewissheit, die mit dem Wort "Transport" verbunden waren:
"Einige Mädchen von unserem Heim wussten, dass sie im Transport sein werden. Unter ihnen war auch meine beste Freundin Pavla. Mein erster Gedanke war, dass ich ohne sie nicht weiterleben kann.
In der Nacht kam kein Transportbefehl, auch am nächsten Vormittag nicht. Vor lauter Aufregung konnten wir es nicht mehr im Heim aushalten. Am Mittag kam immer noch nichts. Am Nachmittag bekam unser Kuče (Zdenka Löwy) die Einberufung. Wir dachten, dass sie weinen wird. Am Abend kam dann die Einberufung für Pavla und Olile. Oliles Eltern wollten es ihr nicht mitteilen. Wir nahmen uns vor, nicht einzuschlafen. Doch nach einer Weile schliefen wir alle, als ob man uns in tiefes Wasser geworfen hätte."[1]
Ruth Gutmann berichtet, wie alle Mädchen Zdenka etwas zu Essen mitgeben wollen:
"Zdenka hat uns voller Freude geküsst, weil ihr Koffer immer voller wurde. Doch wir sagten zu ihr: 'Vergiss nicht, dass wir eine Einheit sind, dass wir uns gegenseitig helfen. Und nebenbei gesagt: Es ist eine Selbstverständlichkeit.' Olile hatte auch nichts zum Anziehen. Was wir nur konnten, gaben wir ihr. Dann ging sie um drei Uhr."[2]
Die Nationalsozialisten stellten Theresienstadt in ihrer Propaganda als "privilegiertes" Ghetto dar. Für eine Delegation des Internationalen Roten Kreuzes schuf die SS im Juni 1944 eine Fassade Theresienstadts, die ein normales Leben vortäuschte, mit Kaffeehäusern, einer eigene Währung, Geschäften, Theater und Musik, …. – die "Stadt Als Ob", wie der Wiener Kabarettkünstler Leo Strauß (1897-1944) die Irreführung in einem Gedicht nannte:
"Ich kenn’ ein kleines Städtchen,
ein Städtchen ganz tip-top.
Ich nenn es nicht beim Namen
ich nenn’ die Stadt Als Ob."
Die Delegation des Roten Kreuzes ließ sich von den Nationalsozialisten täuschen und ihr Repräsentant Maurice Rossel bezeichnete Theresienstadt im Abschlussbericht als "Endlager", aus dem keine weiteren Deportationen stattfänden. Dabei war Theresienstadt ab 1942 eine "Station" für die Deportationen in die Vernichtungslager, vor allem nach Auschwitz-Birkenau. Unmittelbar vor dem Besuch der Delegation des Roten Kreuzes wurden 7.503 Menschen aus Theresienstadt nach Auschwitz-Birkenau verschleppt, damit nicht ersichtlich wurde, wie viele Menschen auf engstem Raum im Ghetto leben mussten. Nachdem die Nationalsozialisten im Sommer 1944 einen Propagandafilm über das Ghetto gedreht hatten, verschleppten sie bis Ende Oktober über 18.000 weitere Menschen nach Auschwitz.
Das Bild von Theresienstadt als "Vorzeigeghetto" wirkte über den Nationalsozialismus hinaus. Die Zeichnungen, Bilder, Gedichte und Texte der Mädchen von Zimmer 28 dokumentieren hingegen die Realität derjenigen, die in Theresienstadt leben mussten: Hunger, Krankheiten, Kälte, Enge und Verzweiflung bestimmten ihren Alltag. Kunst und Kultur waren dabei nicht Ausdruck eines "normalen" Lebens, sondern ihres Überlebenswillens und der Bewahrung menschlicher Werte unter unmenschlichen Umständen.
Vera Nath, geboren 1930 in Opava/Troppau, überlebte in Theresienstadt und konnte mit ihren Eltern und ihrer Schwester nach Prag zurückkehren. Bis auf zwei Cousins und ein Onkel wurden all ihre näheren Angehörigen im Holocaust ermordet. 1948 wanderte Vera Nath in das Britische Mandatsgebiet Palästina aus.
Ruth Gutmann, geboren 1930, wurde im Oktober 1944 nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet.
Teilen Sie uns Ihre Gedanken zu diesem Tagebucheintrag per E-Mail mit:
Die wissenschaftliche Volontärin des Erinnerungsortes Topf & Söhne, Lisa Caspari, spricht über die aktuelle Sonderausstellung „Die Mädchen von Zimmer 28. L 410, Theresienstadt“.