Veranstaltungsbericht zum Vortrag „‚Republik, das ist nicht viel...‘? Rosa Luxemburg, die Novemberrevolution und die Weimarer Linke“
„Jubiläen geben unserer Erinnerungskultur einen Fokus“, eröffnete Prof. Dr. Uli Schöler seinen Vortrag im Erinnerungsort. So auch das Jubiläum einer Revolution, die mit Namen wie „vergessen“, „verraten“, „überflüssig“, „paradox“, „wunderlich“ und vielen weiteren versehen und damit eher an der Rand der allgemeinen Aufmerksamkeit gerückt wurde und dennoch in ihrer Geschichte bis heute nachwirkt. Eine Revolution mit ambivalenter Bedeutung: Sie brachte uns einerseits die erste deutsche Republik und wurde andererseits in ihrer Entstehungsgeschichte von einem Spaltungsprozess der Sozialdemokratie begleitet, der nicht nur fatale Folgen im Januar 1919, sondern auch in den darauffolgenden Jahren haben sollte.
Der Weg hin zur Spaltung in SPD und KPD wurde und wird insbesondere von den Nachfolgern der damals betroffenen Parteien, der heutigen SPD und der Linken, bipolar rekapituliert. Dabei gilt die Spaltung selbst bei den Parteien und auch in der Geschichtsforschung bis heute als ein alternativloses Resultat. Dies sei nicht der Fall gewesen, so Schöler.
Startpunkt seines Vortrages, zu dem der Erinnerungsort in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen eingeladen hatte, war deshalb zunächst eine Rekonstruktion des Konfliktes um die Gewährung der Kriegskredite 1914. Schöler beschäftigte sich dabei mit der Frage nach der Motivation der einzelnen Akteure. Das Fehlen einer freien Presse und von politischen Artikulationsmöglichkeiten sowie eine als real empfundene Angst vor Russland und die noch lebendige Erinnerung an die eigene Verfolgung unter den Sozialistengesetzen hätten viele Mitglieder trotz Skepsis zu einer Zustimmung bewegt. Auch die Arbeiterschaft selbst stand trotz Kriegsgegnerschaft mehrheitlich hinter der späteren Mehrheitssozialdemokratischen Partei Deutschlands (MSPD), da sie mit einer Spaltung eine Schwächung ihrer Bewegung befürchteten. Rosa Luxemburg und viele andere Mitglieder stürzte dieser Verrat am Internationalismus allerdings in eine schwere Krise um die Inhalte der Partei und die eigene politische Identität.
Gerade dieses politische Selbstverständnis Rosa Luxemburgs und die Auseinandersetzung mit der politischen Theorie stellte Schöler in den Vordergrund seines Vortrags. Auszüge aus ihren Briefen und Schriften von 1903 bis 1905 machten deutlich, dass sie Meinungspluralität innerhalb einer Partei als essentiell erachtete. Eine Partei beherberge unterschiedliche Strömungen und sei damit auch zwangsläufig der Schauplatz eines Meinungskampfes, der im Rahmen der Diskussionsfreiheit ausgetragen werden könne. Während der Zeit ihrer Inhaftierung verschärfte sich Luxemburgs Ton bezüglich dieser Themen zunehmend. Bei der Auseinandersetzung mit Lenin über das junge Sowjetrussland übte sie Kritik an dessen Geringschätzung demokratischer Grundfreiheiten. Als Volksvertreter dürfe man sich nicht dem Willen der Masse entziehen. Auch noch 1918 zeigte sich ihr großes Vertrauen in den Willen dieser Volksmasse: Nur eine unbedingte Demokratie, in der Presse- und Versammlungsfreiheit hochgehalten würden, führe zu einer Selbsterziehung der Massen zum Sozialismus.
Mit dem Ende des Krieges wanderte der Streitpunkt der sozialdemokratischen Lager von MSPD und USPD (Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands) weg vom Themenkomplex der Kriegskredite hin zu Fragen um den Umgang mit der ausgebrochenen Revolution, in der sich beide Seiten völlig unvorbereitet wiederfanden. Wo und wie sollte man sich positionieren, welche Forderungen stellen? Zusätzlich führten die Diskussionen um die zukünftige Staatsform (parlamentarische Demokratie oder Räterepublik) und den Zeitpunkt der Wahl für eine konstituierende Nationalversammlung, die diese Frage beantworten sollte, zu Konflikten. Auch die linken Sozialdemokraten im Spartakusbund um Rosa Luxemburg unterstützten die Idee einer Nationalversammlung, wollten aber die Wahl hinauszögern, um somit eine Chance zu haben, weitere Unterstützer zu generieren und ihre politischen Ideen publik und populär zu machen. Die Wahl wurde jedoch schon im Januar 1919 ausgerufen und endete mit einer Niederlage für die sozialistischen Parteien.
Nach ihrer Haftentlassung am 9. November 1918 hauptsächlich mit den Mitgliedern des Spartakusbundes umgeben, radikalisierte sich Rosa Luxemburg zunehmend. Beschimpfungen ehemaliger Genossen, die sie nunmehr als Opportunisten brandmarkte, und Aufrufe zur Gewalt folgten. Diese Radikalisierung sei, laut Schöler, mit einer groben Fehleinschätzung der realen Machtverhältnisse einhergegangen. Die Mehrheit der Arbeiterschaft stand weiterhin hinter der MSPD und mit der kompromisslosen Forderung nach einem sozialistischen Aufstand konnten keine Mitstreiter außerhalb des Kreises der KPD gewonnen werden.
Gerade hier zeige sich die enorme Widersprüchlichkeit zwischen Luxemburgs Schriften im Gefängnis und der späteren Unduldsamkeit gegenüber Andersdenkenden. Als eine Frau, die zuvor Meinungspluralismus und den Willen des Volkes verteidigt hatte, stellte sie sich nun gegen die Masse und postulierte die Ansichten einer Minderheit als eine absolut geltende Wahrheit.
„Rosa Luxemburg“, so schloss Uli Schöler, „ist also eine Ikone, ja, aber sie muss als Person auch historisiert werden, mit all ihren Stärken und Schwächen“. Wenn dies geschehe, könne die Beschäftigung mit ihrer Person, mit ihren Theorien und Widersprüchen, auch heute noch gewinnbringend sein.
Dem Vortrag folgte eine rege Diskussion mit dem Publikum. Annegret Schüle, die Oberkuratorin des Erinnerungsortes, die durch den Abend führte, kehrte zum Schluss noch einmal zu dem Zitat zurück, das den Titel für die Veranstaltung gab. Dabei handelte es sich um einem Spruch der Jungen Sozialisten aus der Weimarer Republik: „Republik, das ist nicht viel, Sozialismus ist das Ziel.“ Republik, das habe man aber durch die Zeit des Nationalsozialismus lernen müssen, sei eben doch eine Errungenschaft, die man wertschätzen und hochhalten müsse. Gerade in der heutigen Zeit werde jedoch deutlich, dass sich die parlamentarische Demokratie in Gefahr befände. „Was also kann man zur Verteidigung der Demokratie tun, wie soll man sie stärken?“, fragte Schüle am Ende der Diskussion. Uli Schöler antwortete mit einem kritischen Blick auf das aktuelle Politikgeschehen. Er forderte die Akteure insbesondere aus seiner eigenen Partei, der SPD, auf, das Alltagsleben und die Anliegen außerparlamentarischer Bewegungen wieder stärker in die Politik einfließen zu lassen. Eine politische Laufbahn solle eben nicht eine Karriere sein, die dem stetigen Machterhalt der eigenen Partei diene, sondern von echtem Engagement begleitet werden, von dem Bedürfnis, tatsächlich etwas bewegen zu wollen.