Veranstaltungsbericht zur Zeitzeugenbegegnung mit Anita Lasker-Wallfisch
"Als Mitglieder der Menschenrasse sind wir alle füreinander verantwortlich. Niemand ist mit einem Etikett auf die Welt gekommen, auf dem steht 'Übermensch' oder 'Untermensch' - die Etiketten haben wir erfunden." Mit diesen starken Worten beendete Anita Lasker-Wallfisch ihre Lesungen im Erinnerungsort. Am 28. und am 29. Januar sprach sie vor 290 Gästen und hat bei den Anwesenden einen großen Eindruck hinterlassen.
Die mittlerweile 93-Jährige hatte als Cellistin im Mädchenorchester in Auschwitz den Holocaust überlebt und sich nach dem Krieg in London ein neues Leben aufgebaut. Es dauerte viele Jahre, bis sie über die Vergangenheit sprechen konnte und in dem Buch "Ihr sollt die Wahrheit erben" ihre Geschichte – zunächst für ihre Familie – niederschrieb. Dieses Buch ist eine bewegende Biografie. Durch die sachliche und beinahe lakonische Art und Weise, mit der Anita Lasker-Wallfisch über das Unfassbare berichtet, ist sie besonders eindringlich. Ihre Erzählung endet mit einer Mahnung: "Wer seine Mitmenschen entwürdigt, entwürdigt letzten Endes sich selbst."
"Wir Menschen sind eine gefährliche Erfindung", sagte sie im Erinnerungsort. "Es wäre so beruhigend zu glauben, dass die Nazis Teufel waren. Es waren aber ganz gewöhnliche Menschen." Und gerade weil die Menschheit eine "Neigung zur gegenseitigen Vernichtung" habe, sei es nicht nur wichtig, sich mit der Geschichte des Holocausts auseinanderzusetzen, sondern auch Verantwortung zu übernehmen. Als Europäer und besonders als Deutsche müssen wir sicherstellen, dass sich dort, wo der Massenmord herkam, eine bessere Zivilisation auf den Trümmern der Vergangenheit entwickelt. Erinnern könne dabei nur der erste Schritt sein, genauso wichtig sei es, Kenntnisse und Wissen über die Vorgänge vor rund 70 Jahren zu vermitteln und darüber zu lehren.
Begleitet wurde Anita Lasker-Wallfisch am 28. Januar von ihrem Enkelsohn Simon Wallfisch, ebenfalls Cellist. Seine berührende musikalische Darbietung verlieh der Abendveranstaltung eine besondere Dimension. Großmutter und Enkel gemeinsam auf der Bühne: Eine Familiengeschichte, die beinahe ein ganzes Jahrhundert umfasst, Generationen übergreift und so bewegend ist wie kaum eine andere.
Neben der Vergangenheit standen deshalb auch aktuelle Themen wie das Wiedererstarken des Nationalismus in vielen Ländern der Welt und der Brexit im Fokus der anschließenden Diskussion. Er sei momentan politisch sehr aktiv, sagte Simon Wallfisch und beschrieb vor dem Publikum, wie er mit einer besonderen Form des Protestes gegen den Austritt Großbritanniens aus der EU ein Zeichen setzt. Zusammen mit einer Gruppe von Musikern stimmt er regelmäßig vor dem Parlament in London Beethovens "Ode an die Freude", die Hymne der Europäischen Union, an. Über Musik könne man viele unterschiedliche Menschen erreichen und zum Nachdenken anregen. Angesichts der von seiner Großmutter zuvor berichteten Erfahrungen im Holocaust wurde besonders deutlich, wie viel eine europäische Gesellschaft gewinnt, in der es den Menschen ganz im Sinne des Musikstückes gelingt, "eines Freundes Freund zu sein".
Dies war auch eine Botschaft, die Anita Lasker-Wallfisch am nächsten Tag bei der Schülerbegegnung wieder aufgriff. Sie rief zu einem menschlichen Miteinander auf, dazu, andere Kulturen kennenzulernen und Verschiedenheit zu akzeptieren. Die Stärke dieser Frau und die Unmittelbarkeit, mit der sie von der Vergangenheit berichtete und Zeugnis ablegte – all das beeindruckte die Schülerinnen und Schüler. In dem Gespräch, das sich der Lesung anschloss und in dem die Jugendlichen engagiert auch persönliche Fragen über das Erlebte und das "Danach" stellten, wurde deutlich: Der Holocaust ist zwar Teil von Anita Lasker-Wallfischs Leben, aber sie ließ nicht zu, dass er ihr Leben bestimmt. Nach dem Krieg hatte sie sich geschworen, nie wieder deutschen Boden zu betreten: Sie habe alles Deutsche gehasst. Über 40 Jahre dauerte es, bis sie dann doch zurückkehrte, denn sie habe eine Sache gelernt: "Mit Hass vergiftet man nicht nur seine Umwelt, man vergiftet sich selbst." Seitdem engagiert sie sich unermüdlich als Zeitzeugin und hat bisher bei unzähligen Begegnungen vor allem mit jungen Menschen über das gesprochen, was ihr geschehen ist. Gerade diese Begegnungen sind Frau Lasker-Wallfisch auch in Hinblick auf die Zukunft wichtig. Denn vielleicht, so sagte sie zum Schluss noch, "können wir letzten Endes doch etwas aus der Geschichte lernen, und Zeitzeugen sind wirksamer als Geschichtsbücher."
Die Zeitzeugenbegegnung am 28. Januar fand im Rahmen des DenkTages der Konrad-Adenauer-Stiftung Politisches Bildungsforum Thüringen statt. Schon seit Jahren sind sie ein wichtiger Partner und ermöglichen zusammen mit dem Erinnerungsort die Begegnung mit Überlebenden.