Begegnung mit dem 99-jährigen Holocaust-Überlebenden Dr. Leon Weintraub

Leon Weintraub wurde 1926 im polnischen Łódź in eine jüdische Familie geboren. Sein Vater starb nur ein Jahr nach seiner Geburt. Seine arme, aber behütete Kindheit endete mit dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939. Wenige Monate später errichteten die Nationalsozialisten in Łódź ein jüdisches Ghetto, in das auch Leon Weintraub, seine Mutter und seine vier älteren Schwestern gezwungen wurden. In der Folgezeit musste der 14-Jährige unter quälendem Hunger 12 Stunden täglich Zwangsarbeit leisten. Im Sommer 1944 wurde die Familie nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Bei der Ankunft wurde Leon Weintraub von seiner Familie getrennt. Seine Mutter und ihre Schwester wurden unmittelbar danach in den Gaskammern ermordet, ihre Leichname anschließend in den Öfen von Topf & Söhne verbrannt. Durch seinen Mut, sich heimlich einem bereits zusammengestellten Häftlingstransport anzuschließen, konnte Leon Weintraub im Winter 1944 aus Auschwitz-Birkenau entkommen. In den Folgemonaten wurde er in mehrere Lager verschleppt. Mitte April 1945 gelang es ihm trotz völliger Entkräftung und schwerer Krankheit, während eines französischen Angriffs von einem weiteren Transport zu fliehen und so sein Leben zu retten. Seine Mutter, eine seiner Schwestern und die meisten Angehörigen seiner Großfamilie wurden im Holocaust ermordet.
Ihnen gegenüber empfindet Dr. Leon Weintraub die innere Verpflichtung, die Erinnerung an „diese furchtbare Zeit als Mahnung und Warnung“ wach zu halten. In seiner in der Dauerausstellung „Techniker der Endlösung. Topf & Söhne – Die Ofenbauer von Auschwitz“ aufgenommenen Instagram-Videobotschaft ruft er auch uns Mitmenschen zu dieser Verantwortung auf: „Das ist die Pflicht aller denkenden Menschen, aller demokratischen Menschen, im Gegensatz zu den Rechtsradikalen, die durch ihre Menschenverachtung, Fremdenverachtung, nicht weit davon sind, dass sie sowas denken.“
Die Veranstaltung mit Dr. Leon Weintraub stand im Kontext des 80. Jahrestages der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau durch die Rote Armee am 27. Januar 1945. Der Erinnerungsort Topf & Söhne hatte sie in Kooperation mit Bildungswerk ver.di Thüringen und der Konrad-Adenauer-Stiftung Thüringen organisiert. Oberbürgermeister Andreas Horn sprach als Denkpate der Konrad-Adenauer-Stiftung zu Beginn ein Grußwort. Anschließend las Deborah Driesner, Freiwillige im FSJ Kultur am Erinnerungsort, aus Dr. Leon Weintraubs Buch „Die Versöhnung mit dem Bösen. Geschichte eines Weiterlebens“, das er 2022 mit der polnischen Journalistin Magda Jaros veröffentlicht hatte.
Aus bitterer Erfahrung warnt Dr. Leon Weintraub wie viele Überlebende vor den Gefahren, die im Erstarken rechtsextremer Kräfte liegen. Während seines Aufenthaltes in Erfurt verfolgte er aktiv das Geschehen im Deutschen Bundestag und war erschüttert. Gemeinsam mit seiner Ehefrau Evamaria Loose-Weintraub beschloss er deshalb, sich in einem Offenen Brief an den CDU-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz zu richten. Darin schreibt er: „Die Folgen Ihrer derzeitigen Politik führen bereits schon wieder zu einer Fremdenfeindlichkeit und Polarisierung in der Gesellschaft, die wir Überlebenden des Holocausts so bitter am eigenen Leibe erfahren mussten. Arbeiten Sie mit demokratischen Parteien und Menschen guten Willens. Wenden Sie sich ab von rechtsradikalen Parteien in Deutschland und tragen Sie nicht zu eventuellen Triumphen im rechtsradikalen Lager bei.“ Der Brief wurde am 5. Februar 2025 in der Tageszeitung taz veröffentlicht und ist hier nachlesbar: https://taz.de/Sehr-geehrter-Herr-Merz/!6067591/