Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus am Stein der Erinnerung vor dem ehemaligen Verwaltungsgebäude von J. A. Topf & Söhne
![Foto: Oberbürgermeister Andreas Horn bei seiner Gedenkrede © Alice End Mann an Mikrofon](/mam/ts/aktuelles/2025/fittosize_85_338_0_a84a73094930a747151e298ba80ece6d_2025_horn_1.jpg)
In seiner Gedenkrede führte Oberbürgermeister Andreas Horn aus: „Was vor 80 Jahren geschah, ist lange her, sagen manche. Das würde uns doch heute nicht mehr betreffen. Wer so spricht, hat eins nicht verstanden: Es braucht das öffentliche Gedenken und die historische Aufklärung, um den Menschen, die die Nationalsozialisten aus ihrer sogenannten Volksgemeinschaft ausgestoßen und um all ihre Rechte beraubt haben, ihre Würde und ihren Platz in der Geschichte zurückzugeben. Doch sind wir nicht nur den Opfern das Gedenken schuldig, sondern auch uns selbst. Wir alle, die gesamte Gesellschaft, brauchen das Gedenken, um aus der Geschichte zu lernen, dass Demokratie und Rechtsstaat wehrhaft sein müssen. Das gilt erst recht angesichts des Erstarkens rechtsextremer, menschen- und demokratieverachtender Kräfte heute. Deshalb bin ich dankbar für die vielfältigen Bildungsangebote hier im Erinnerungsort Topf & Söhne, in dem Jugendliche selbst in der Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Verbrechen aktiv werden können. Sie werden dabei gestärkt, sich für ein menschliches Miteinander und gegen Entwertung und Ausgrenzung von Menschen einzusetzen.“
![Foto: Der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde Prof. Dr. Reinhard Schramm bei seiner Gedenkrede © Stadtverwaltung Erfurt Älterer Mann der eine Rede hält](/mam/ts/aktuelles/2025/fittosize_85_338_0_5d301c8179728ed3d9bac38d2721ad02_2025_schramm_2.jpg)
Im Anschluss betonte der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde Prof. Dr. Reinhard Schramm: „Ich danke der Stadt Erfurt für diese Gedenkstunde und vor allem dem Team des Erinnerungsortes Topf & Söhne - Die Ofenbauer von Auschwitz. Heute, am 27., Januar, dem 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, erinnert uns Topf & Söhne an die einstige Mitwirkung der Stadt Erfurt am nationalsozialistischen Völkermord an den europäischen Juden und an den Sinti und Roma. Der Tod unserer Familien im Holocaust, 6-Millionen-fach in der Shoah und 500.000-fach im Porajmos, in den gleichen Gaskammern und Vernichtungsorten machte Juden, Sinti und Roma zu einer Schicksalsgemeinschaft. […] Am internationalen Holocaust-Gedenktag und 80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz sind wir solidarisch mit allen Gruppen, die wie Juden in Auschwitz starben und die bei der Wahl eines AfD-Abgeordneten zum Vizepräsidenten des Thüringer Landtags den gleichen Schmerz wie wir spüren würden. Es sind jene Gruppen, die bei wachsendem Nationalismus in Deutschland wieder als erste gefährdet sind. Vergessen wir nicht die Lehre aus der deutschen Geschichte. Am Ende sind alle Deutschen bedroht, wenn es an entschlossenen Demokraten mangelt.“
![Foto: Ministerpräsident Prof. Dr. Mario Voigt bei seinem Grußwort © Stadtverwaltung Erfurt Mann mit Brille der eine Rede hält](/mam/ts/aktuelles/2025/fittosize_85_338_0_542674b88511be00d8db14c7dc6b5fbd_2025_voigt_3.jpg)
Der Ministerpräsident führte dazu aus: „Das ist die Erinnerungsarbeit, das ist die gesellschaftliche Verpflichtung, der wir uns gegenübersehen, dass Menschen hier nicht nur passiv dabei gewesen sind, sondern dass sie ganz aktiv versucht haben, zu optimieren, ein System für die Vernichtung zu entwickeln. Und ich glaube, wenn man sich das vor Augen führt, dann weiß man, wie schnell der Kipppunkt erreicht sein kann, wenn wir nicht wachsam sind. Und deswegen wollen wir als Thüringer Landesregierung nicht nur die Erinnerungsarbeit zur Frage der systematischen Vernichtung, sondern auch die konzeptionelle Arbeit der Erinnerungsorte unterstützen. Unser Ziel ist es, dass die Erinnerungsorte dafür ausreichend finanziell ausgestattet sind. Wir wollen sicherstellen, dass Schulklassen verpflichtend die Erinnerungsorte besuchen, weil für uns wichtig ist, dass die jungen Generationen verstehen, in welcher historischen Verantwortung wir gemeinschaftlich stehen. […] Für uns geht es nicht nur um die Frage einer Erinnerungskultur, für uns geht es auch um die aktive Auseinandersetzung mit dem Bösen, dass es auch in der Jetztzeit gibt. Und ich glaube, dass wir gut daran tun, dies in großer Gemeinsamkeit immer wieder deutlich zu machen, dass wir Thüringer verstanden haben, dass der Anspruch „Nie wieder ist jetzt!“ politische Verpflichtung ist. Und auch, dass wir diesen Gedenktag heute dafür nutzen, dafür zu werben. Dass wir ein weltoffenes Land sind, ein Land, das für religiöse Toleranz steht, dass sich alle Juden bei uns sicher fühlen können, dass wir Antisemitismus hier, aber auch überall sonst entschieden entgegentreten. Und dass wir damit zum Ausdruck bringen: Wir haben aus der Geschichte gelernt und verstehen es auch als Verpflichtung für die Zukunft. Deswegen danke ich Ihnen heute für dieses wichtige Signal des gemeinsamen Erinnerns. Und ich wünsche uns, das unserem Heimatland auch weiterhin die Stärke beschieden ist, extremistischen Strömungen deutlich entgegenzutreten.“
![Foto: Staatsminister Carsten Schneider bei seinem Grußwort © Stadtverwaltung Erfurt Mann mit Brille der eine Rede hält](/mam/ts/aktuelles/2025/fittosize_85_338_0_cbca5ac86b4a332488a29853ed2afaa6_2025_schneider_4.jpg)
Carsten Schneider, Staatsminister beim Bundeskanzler und Beauftragter der Bundesregierung für Ostdeutschland, sagte: "Der Erinnerungsort Topf & Söhne Erfurt nimmt einen besonderen Platz unter den Gedenkorten an die nationalsozialistischen Verbrechen ein. Die früheren Werkshallen der Firma Topf & Söhne gehören nicht zu den Orten, an denen das Unterdrückungssystem des Nationalsozialismus seine schrecklichen Taten verübt hat. Hier in Erfurt wurden keine Menschen eingesperrt, gefoltert oder getötet. Dennoch ging Schreckliches von diesem Ort aus. Hier beteiligten sich ganz normale Deutsche, hier am Nonnenrain, an den nationalsozialistischen Verbrechen. […] Sie erfüllten ihre Aufgaben so, als handelte es sich um eine x-beliebige Effizienzsteigerung einer x-beliebigen industriellen Anlage. […] Das Regime Hitlers hat so verheerend gewirkt, weil es alle Teile der deutschen Gesellschaft mobilisieren konnte, mobilisieren für seine Verbrechen. Hier in Erfurt am Erinnerungsort Topf & Söhne kann man lernen, dass sich hinter dem Alltäglichen Schreckliches verbergen kann. […] Ich habe hier gelernt an diesem Ort, der sich damals in der DDR Erfurter Mälzerei und Speicherbau nannte. Und ich habe hier produktive Arbeit und Einführung in die sozialistische Produktion gelernt, aber über Topf & Söhne und die Einbindung in die Verbrechen des Nationalsozialismus habe ich nichts gelernt. […] Von heute aus gesehen ist die Befreiung von Auschwitz vor 80 Jahren auch die Geburtsstunde und der Bezugspunkt eines neuen demokratischen Deutschlands. Für unser Land gilt unverändert: Eine funktionierende Demokratie, Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit stellen sicher, dass sich staatlicher Machtmissbrauch nicht wiederholen kann. Die Demokratie zu schützen, darin besteht heute die wichtigste Lehre aus der deutschen Geschichte.“
![Foto: Die Oberkuratorin des Erinnerungsortes PD Dr. Annegret Schüle führte durch die Gedenkstunde. © Stadtverwaltung Erfurt Frau mit Mütze und Brille die eine Rede hält](/mam/ts/aktuelles/2025/fittosize_85_338_0_8a279b73b77d34056ee6fd25455ed0cb_2025_schule_5.jpg)
Die Gedenkstunde beendete PD Dr. Annegret Schüle mit den Worten: „Lange gingen wir bei den Gedenkfeiern in Erinnerung an die Befreiung der Lager von der Gewissheit aus, dass die deutsche Gesellschaft in ihrer Breite und Mitte aus der Geschichte gelernt hat, dass sie auf die Stimmen der Überlebenden gehört und sie verstanden hat: Nie wieder! Doch dessen können wir heute nicht mehr sicher sein. Umso wichtiger, dass wir diese Erinnerung jetzt und in Zukunft verteidigen. […]
Wir gedenken am Tag der Befreiung von Auschwitz vor 80 Jahren, den Millionen Opfern der nationalsozialistischen Verbrechen,
• den sechs Millionen Jüdinnen und Juden.
• den drei Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen,
• den 500.000 Sinti und Roma,
• den 300.000 Menschen mit geistigen, psychischen oder körperlichen Beeinträchtigungen,
• den Opfern aus dem Widerstand,
• den Menschen, die wegen ihren Glaubens, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Hautfarbe oder einfach, weil sie nicht angepasst lebten, umgebracht wurden sowie
• den Millionen Zivilistinnen und Zivilisten, die dem Vernichtungskrieg gegen Polen und die Sowjetunion zum Opfer fielen.
Wir bitten um ein stilles Gedenken an die Opfer.“