Nachruf: Wir trauern um Hartmut Topf (1934-2024)
Nachruf: Wir trauern um Hartmut Topf (1934-2024)
Hartmut Topf wurde 1934 in Berlin geboren und wuchs dort auf, seine Eltern Albert und Irmgard Topf stammten beide aus Erfurt. Sein Vater hatte Elektrotechnik in Ilmenau studiert und fand dann eine Anstellung bei Siemens & Halske in der Hauptstadt. Seine Cousins waren die Brüder Ludwig und Ernst Wolfgang Topf, die von 1939 bis 1945 die Geschäfte von J. A. Topf & Söhne mit Leichenverbrennungsöfen für die Konzentrations- und Vernichtungslager und mit Lüftungstechnik für die Gaskammern von Auschwitz-Birkenau verantworteten. Wie sie stammte Hartmut Topf also von Johann Andreas Topf ab, der den Betrieb 1878 in Erfurt gegründet hatte. Dessen Sohn Julius Topf, Hartmuts Großvater, war bereits 1904 aus dem Unternehmen ausgeschieden und hatte es der alleinigen Führung seines Bruders Ludwig Topf sen. überlassen, dem Vater der oben genannten Brüder Ludwig und Ernst Wolfgang Topf.
Als Kind war Hartmut Topf oft in Erfurt, hatte aber nur zu den Familien der Geschwister seiner Eltern regelmäßigen Kontakt, nicht zu den Cousins seines Vaters und deren Familien. Er wusste nur, dass sie eine Firma mit „Weltruf“ besaßen. Sein daher rührender, kindlicher Stolz auf den Namen „Topf“ hörte allerdings schlagartig auf, als Hartmut Topf mit etwa 14 Jahren, also wenige Jahre nach dem Krieg, im Kino durch die von der DEFA produzierten Wochenschau „Der Augenzeuge“ erfuhr, dass das Unternehmen J. A. Topf & Söhne an nationalsozialistischen Verbrechen beteiligt gewesen war. Hartmuts Vater Albert Topf sowie sein Onkel Hans Topf, beide Zellenleiter der NSDAP, waren 1947 im sowjetischen Speziallager Nr. 7, dem ehemaligen Konzentrationslager Sachsenhausen, gestorben. Sie konnte er nicht mehr nach der Zeit vor 1945 fragen.
1950, mit 16 Jahren, floh Hartmut Topf alleine aus der gerade gegründeten DDR, nachdem sein Klassenlehrer den „aufmüpfigen“ Jungen vor seiner bevorstehenden Verhaftung gewarnt hatte. In Hannover schloss der Jugendliche die mittlere Reife auf der Abendschule ab, absolvierte bei Siemens eine Ausbildung zum Fernmeldemonteur und arbeitete auch in diesem Beruf. Doch seine eigentliche Liebe waren das Theater und der Film. 1956 ging er zurück nach Berlin, in den Westteil der Stadt, und „schlug sich so durch“ mit verschiedenen Jobs, darunter beim Kabarett, beim Film und beim Theater. Mit 27 Jahren heiratete er. Nach der Scheidung wurde er zum alleinerziehenden Vater seines Sohnes, eine Rolle, die „ihm sehr viel Spaß“ machte. Weil er mehr Zeit für sein Kind haben wollte, begann er freiberuflich als Filmemacher zu arbeiten und war dann bis zu seinem Renteneintritt 1999 vor allem als Journalist für Radio und Printmedien und in der Organisation von Kulturveranstaltungen tätig.
Aufmerksam nahm Hartmut Topf als Erwachsener alle Informationen zum Unternehmen J. A. Topf & Söhne im Nationalsozialismus auf, die er finden konnte. Auch bei den in Erfurt lebenden Verwandten, zu denen er zeitlebens Kontakt hielt, erkundigte er sich. Seine Haltung, dass die Familie Topf eine Verantwortung für die Schuld von Ludwig und Ernst Wolfgang Topf im Nationalsozialismus trägt, hatte sich schon lange herausgebildet, als Anfang der 1990er Jahre die Vergangenheit im vereinten Deutschland in die Schlagzeilen geriet. Familienangehörige von Ernst Wolfgang Topf und seiner Schwester Johanna Stetter, die beide schon tot waren, stellten damals einen Antrag auf Rückübertragung der Firma. Nach Intervention des Exekutivdirektors des Jüdischen Weltkongresses Elan Steinberg, der diesen Antrag als „Obszönität“ und „einfach monströs“ verurteilte, sprach sich auch die Bundesregierung unter Helmut Kohl gegen die Rückübertragung aus. Der Antrag wurde 1992 vom Staatlichen Amt zur Regelung offener Vermögensfragen in Gera abgelehnt, weil die Enteignung durch die SMAD vor 1949 erfolgt war. Später wurde auch der Antrag der Familie auf Rückgabe bzw. Entschädigung für die Enteignung des Parkgrundstückes am Hirnzigenweg abschlägig beschieden.
Hartmut Topf wollte die Ansprüche seiner Verwandten nicht unwidersprochen stehen lassen. Er ging nun seinerseits an die Öffentlichkeit und sprach im Herbst 1994 und damit vor genau 30 Jahren auf der ersten Veranstaltung zur Geschichte von Topf & Söhne in Erfurt, vom Europäischen Kulturzentrum Thüringen im Haus Dacheröden organisiert. Danach wandte er sich in einem Rundbrief an die Großfamilie Topf, in dem er sich gegen die Beanspruchung des Parkgrundstücks wandte: „Diejenigen Nachfahren des Großonkels (Ludwig Topf sen., A. S.), die sich in die Geschäfte mit den Nazis verwickelten und dabei viel Geld verdienten, den Auftraggebern mit großem Eifer halfen, die industrielle Tötungsmaschinerie in Auschwitz und anderswo zu perfektionieren, sie sind alle tot. (…) Ich finde, hier sollten keine nachgeborenen oder in die Familie eingeheirateten Personen Ansprüche anmelden, auch wenn es sich um echtes Altvermögen der Familie handelt. Wenn überhaupt Geld aus der Immobilie flüssiggemacht werden kann, sollte es der Wiedergutmachung dienen, sollte zur Versorgung und Therapie von Opfern mit Spätfolgen der Verfolgung und des Lagerterrors verwendet werden, oder es sollte der politischen Jugendbildung zukommen, die für Toleranz und Mitmenschlichkeit gegenüber Fremden eintritt.“
Angestoßen durch die Archivrecherchen des Berliner Kulturwissenschaftler Eckard Schwarzenberger bildete sich 1998 in Erfurt ein Netzwerk aus Trägern der historisch-politischen Bildung, das sich erstmals kontinuierlich mit der Geschichte von Topf & Söhne auseinandersetzte. Dabei waren das Europäische Kulturzentrum, das DGB-Bildungswerk, die Heinrich-Böll-Stiftung und die Evangelische Akademie Thüringen. Hartmut Topf unterstützte diese Initiative, die sich ab 1999 als Förderkreis Geschichtsort Topf & Söhne konstituierte und mit Tagungen und Vorträgen renommierter Referenten zum Motor für die Debatte in Erfurt wurde. Ein Großteil dieser Vorträge enthält der 2002 erschienene Sammelband „Firma Topf & Söhne – Hersteller der Öfen für Auschwitz. Ein Fabrikgebäude als Erinnerungsort?“ Dort beleuchtet ein Text auch die Biografie von Hartmut Topf.
Hartmut Topf war beteiligt, als der seit 2008 als gemeinnütziger Verein agierende Förderkreis Erinnerungsort Topf & Söhne gemeinsam mit der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora und unterstützt von dem Erfurter Bundestagsabgeordneten Carsten Schneider den Erinnerungsort Topf & Söhne – Die Ofenbauer von Auschwitz auf dem ehemaligen Firmengelände erstritt und nach der Eröffnung im Januar 2011 begleitete. Hartmut Topf war ein unermüdlicher Netzwerker und Interviewpartner für die Medien und wurde oft in Schulen eingeladen. Bis ins hohe Alter hat er öffentlich über die Geschichte von Topf & Söhne gesprochen, an Veranstaltungen und Projekten des Erinnerungsortes Topf & Söhne teilgenommen und bei seinen vielen Reisen durch Europa auf ihn aufmerksam gemacht. Die Forschungen der Verfasserin hat er intensiv mit seiner Kenntnis der Familiengeschichte unterstützt. 2011 übergab er viele Unterlagen aus seinem Privatarchiv an den Erinnerungsort Topf & Söhne.
Ich habe Hartmut Topf zum letzten Mal am 5. Juni dieses Jahres im Theater Erfurt getroffen, als ich ihn zum Eröffnungsprogramm des 14. Internationalen Puppentheaterfestival Synergura begleiten durfte. Das Puppentheater war seit seiner Kindheit seine große Leidenschaft. Er war darin ein international anerkannter Experte und wurde von vielen Freundinnen und Freunde unter den angereisten Ensembles aus zehn Ländern herzlich begrüßt.
Hartmut Topf, der mit den Mittätern von Topf & Söhne nicht in unmittelbarer Linie verwandt ist, hätte sich wegducken können, wie es andere tun, die zu wenig Mut oder zu wenig Haltung für eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte haben. Doch Hartmut Topf sagte: „Mein Name bleibt eine besondere Verantwortung“. Dieser Verantwortung, bist du, Hartmut, mit tiefer Überzeugung, unermüdlichem Engagement und großer Wirkung gerecht geworden. Du hast Türen geöffnet und Menschen erreicht. Deine Spuren bleiben für immer - in der Arbeit des Erinnerungsortes Topf & Söhne.
Ruhe in Frieden.
PD Dr. Annegret Schüle