Das Kind auf der Liste. Die Geschichte von Willy Blum und seiner Familie
Buchvorstellung mit Annette Leo, Historikerin und Publizistin
Willy Blum war 16 Jahre alt, als er in Auschwitz-Birkenau ermordet wurde. Über ihn und seine Familie wusste man bislang nichts. Am Anfang gab es nur seinen Namen auf der Transportliste nach Auschwitz. Getippt worden war die Liste in der Häftlingsschreibstube des KZ Buchenwald: zwei Seiten mit den Namen von 200 Kindern und Jugendlichen. Der letzte Name, die Nummer 200 „Zweig, St.“ ist durchgestrichen. An seine Stelle wurde „Blum, Willy“ hinzugeschrieben. Der dreijährige Stefan Jerzy Zweig überlebte durch diesen Tausch. Seine Geschichte bildete später die Vorlage für den Erfolgsroman von Bruno Apitz Nackt unter Wölfen, der seine Rettung zu einem Symbol in der Geschichtserzählung über den kommunistischen Widerstand machte.
Als die Transportliste mit den ausgetauschten Namen in den 1990er Jahren bekannt wurde, stieß sie kontroverse Debatten über das „Buchenwaldkind“ an. Ein inzwischen aufgetauchtes Dokument löst die direkte Beziehung zwischen der Rettung von Stefan Jerzy Zweig und dem Tod von Willy Blum wieder auf: Willy Blum hatte sich freiwillig, sofern man ein solches Wort in diesem Zusammenhang überhaupt verwenden kann, für den Transport nach Auschwitz gemeldet, weil er seinen kleinen Bruder Rudolf nicht allein lassen wollte. Dies nimmt den Geschehnissen nichts von ihrer Tragik, aber sie holt Willy Blums Geschichte aus dem Schatten der Debatten um das „Buchenwaldkind“ und verschafft ihr einen eigenen Raum.
Eine versunkene Welt der Wandermarionettentheater
Willy Blum wurde 1928 als das siebte Kind von Aloys und Toni Blum in Rübeland im Harz geboren. Er wuchs auf in einer Sinti-Familie, die mit einer Marionettenbühne durch das Land zog und in Gasthöfen und Gemeindesälen der Dörfer und Kleinstädte ihre Vorstellungen präsentierte. Annette Leo hat sich auf die Suche gemacht und die Geschichte der Familie Blum und zugleich auch die Geschichte des Verschweigens einer Opfergruppe in der Nachkriegszeit erforscht: die der Sinti und Roma. Die Geschichte handelt von einer mittlerweile versunkenen Welt der Wandermarionettentheater, sie handelt von Diskriminierung und Ausgrenzung, mit denen die Angehörigen der Minderheit seit Jahrhunderten gewohnt waren umzugehen – bis schließlich der mörderische Rassismus der Nationalsozialisten ihre Existenz aufs äußerste bedrohte.